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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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der Wunsch, ein Schwert in den Leib eines wehrlosen Menschen zu stoßen, hinterrücks, ohne Gnade … das war es, wonach es sie dürstete, ihre Berufung, ihre Aufgabe: eine Igrydes zu sein für immer, Tarnac zu Ehren, der ihr seine Liebe geschenkt hatte, dem sie dienen wollte mit all ihrer Kraft, Fleisch von seinem Fleisch, Blut von seinem Blut … Doch etwas in ihr sträubte sich dagegen, eine weinerliche Stimme, die sie mit Zweifeln bedrängte. Warum wirfst du dich für ihn fort … für einen Mann, der dich benutzt hat und insgeheim verachtet wie alle Igrydes? Warum lässt du dich wie eine Hündin abrichten, sagst dich nicht los, lässt alles hinter dir, den Hass und die Mordlust? Nicht du hast den König verraten, sondern er dich … Tarnac hat dir den Willen geraubt, hat auf Morthyl dein Leben preisgegeben, dich vergessen … aber du folgst ihm wie eine Sklavin, lässt dich von ihm nach Tyran schicken, gehst für ihn in den Tod … Reiße dich los von ihm!
    »Sei still«, brüllte Ashnada. Die Flammen um sie verfärbten sich grellgelb. »Sei still, elende Verräterin … ich hasse dich!« Ihre Finger krallten sich in das eigene Fleisch, das verdorrt an ihren Knochen schwelte, und vor ihren Füßen, auf den schmelzenden Felsen, glommen Fußspuren auf: glühende Fußspuren und der Abdruck eines Wanderstocks … die Spur, der sie so lange gefolgt war, der sie weiter folgen musste, wenn sie Tarnacs Befehl erfüllen wollte.
    Sie taumelte über den Spalt, dem alles Silber entwichen war. Die Flammen krochen in ihren Körper zurück. Von den Goldéi war nichts zurückgeblieben. Nur träge Nebelschwaden hingen über den Felsen.
    Doch ein Kreischen rief ihr ins Gedächtnis, dass sie nicht allein war. Sie wirbelte herum … gerade noch rechtzeitig, um dem Gehäuteten auszuweichen, der auf sie zusprang. Sein Brüllen war ohrenbetäubend. Unförmige Glieder peitschten durch die Luft, und eines von ihnen – war es eine Klaue? ein Schwanz? – streifte ihre Schulter. Sie platzte auf wie eine reife Frucht. Ashnada ließ sich zu Boden fallen. Über ihr erhob sich der Gehäutete, sein Körper aus dichtem Nebel, seine Bewegungen ruckartig. Er wollte sich auf Ashnada fallen lassen, doch sie rollte unter ihm weg. Er krachte auf das Gestein. Wo sein Körper den Felsen berührte, drang ein Zischen aus seinem Fleisch.
    Ashnada schloss die Augen. Wieder loderte die Flamme auf, und der Goldéi begann zu brennen, entzündet von ihrem Hass.
    »… kannst sie nicht beherrschen«, keuchte Ashnada, »denn sie beherrscht dich … wird dich vernichten und von innen auszehren.« Und dann, lauter, mit fester Stimme: »Sei still! Was weißt du schon, Cydra … duck dich und schweig, feiges Stück Dreck … Du bist es, die sich nicht beherrschen konnte auf Morthyl, die sich von diesem eingebildeten Silberschmuggler besteigen ließ … jetzt komm mir nicht mit Vorwürfen! Lass mich meine Pflicht tun! «
    Vor ihren Augen tanzten rötliche Schleier. Der Gehäutete wirbelte auf den Felsen umher, sein Kreischen wurde schwächer und schwächer. Sein Leib nahm eine schmutzige Farbe an. Grau in Grau, Schmerz zu Schmerz. In Fetzen stieg er zum Himmel auf und verlor sich dort – ein Nebelstreif, den der Wind nach Westen trug, zu den goldenen Schiffen und dann hinaus ins Nichts.
    Ashnada war längst weitergekrochen. Auf allen vieren folgte sie der Flammenspur, die sie zu Rumos führen würde. Sie musste ihn finden … ihn, dem sie immer ähnlicher wurde: verzehrt von der Ewigen Flamme, gezeichnet vom Fluch der Sphäre.
    In der Ferne flimmerten Gemäuer im Licht der untergehenden Sonne; die Ruinen von Athyr’Tyran. Die Flammenspur führte auf sie zu.
     
    Aelarian taumelte. Aelarian stürzte. Aelarian schlug um sich, schrie und fluchte, forderte die Windgeister auf, ihn loszulassen, trat mit den Stiefeln nach ihnen. Doch sie ließen nicht von ihm ab und zerrten ihn durch den Gang. Aelarian wusste nicht mehr, wo oben und unten war; die Geister wirbelten ihn umher wie der Herbstwind das Laub, schubsten ihn gegen die Mauern und schleuderten ihn zur Decke, so dass er kurz das Bewusstsein verlor.
    Als er wieder zu sich kam, hatte sich der Gang einem Saal geöffnet: Die Mauern waren grau und spröde, der Boden bestand aus hellen Steinplatten. Aelarian sah weitere Geister im Saal umherhuschen; kindsgroße Gestalten, ihre Körper aus flimmernder Luft, die Augen düster und tragisch. Ein perlendes Lachen schlug ihm von allen Seiten entgegen. Dort, zwischen den

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