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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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Aelarian die Hölzchen der Scherenschnitte. Die Schatten folgten seinen Bewegungen. Dann steckte der Großmerkant die Figuren zurück in seine Tasche. Augenblicklich verschwanden die beiden Schatten, ohne eine Spur auf den Wänden zurückzulassen.
    Das Mädchen betrachtete Aelarian mit ihren dunklen Augen.
    »Mondschlund … du bist es und bist es nicht. Ich höre und sehe dich, aber du bist fern von mir und so fremd.«
    »Ich bin nicht Mondschlund«, wiederholte er. »Ich folge nur seinem Ruf.« Er holte das Mondamulett unter dem Mantel hervor.
    Sie lächelte. »Die Mondsichel … dies ist sein Zeichen! Er hat dich zu mir geschickt? Warum kommt er nicht selbst? Oh, ich vergaß es … er weilt längst selbst unter den Geistern. Du aber, du lebst! Ich spüre deine Wärme. Ich höre deinen Atem. Du lebst, und doch suchst du uns Geister auf. Was willst du von uns?«
    »Wenn ich das nur so genau wüsste … ich hoffte, die Antwort von dir zu erfahren, Kahida!«
    Sie trat einen Schritt zurück. »Kahida? Ja, so nannte mich mein Vater. In der alten Sprache von Tyran bedeutete es: das Liebchen der Fische. Weißt du warum, mein Mondschlund? Wenn ich mit meinem Vater auf Fischfang ging und die Hand ins Wasser hielt, kamen die Fische herbeigeschwommen. Sie ließen sich von mir streicheln und liebkosen, selbst die finsteren Hechte.« Sie betrachtete ihre schmale Hand. »Auf die anderen Fischer aber gingen sie los, wenn die Wellen wieder ein Boot umgeworfen hatten. Es gab Raubfische, die einen Mann in Stücke reißen konnten, mit Zähnen scharf wie Messer. Die Fische hassten uns Menschen, so wie auch die Wellen und Klippen uns hassten. Von zehn Booten, die in See stachen, kehrten zwei nicht zurück. So viele Tote, so viel Blut in den Wellen.« Sie schluchzte. »Die Sphäre war unser Feind. Da gab es Stürme, mächtige Stürme … Tagelang tobten sie auf Tyran, zerfetzten unsere Hütten, zertrümmerten unsere Boote. Da waren Erdspalten, die sich plötzlich unter uns öffneten und Menschen verschlangen. Da waren Geister in der Nacht … ich höre noch ihr Geheul, wenn sie durch unser Dorf jagten, auf der Suche nach Blut. Dann verriegelte mein Vater die Tür unserer Hütte, nahm mich auf den Schoß und versprach, mich zu beschützen. Aber ich glaubte ihm nicht. Meine Mutter hatte er nicht beschützen können, als die Geister gekommen waren.«
    Aelarian sah sich nach dem Windgeistern um. Sie krümmten sich am Ende des Saals gegen die Wände, schwach und jämmerlich. Aber er hatte nicht vergessen, wie sie ihn durch die Lüfte geschleudert hatten. Er wusste, wie gefährlich sie waren.
    »Nur mir taten sie kein Leid an«, wisperte Kahida. »Die anderen Kinder flohen vor ihnen. Ich aber hatte keine Angst. Da war etwas in mir, das mich stark machte. Ich lachte in den Sturm, und er verstummte; und wenn ich den Geistern eine Nase drehte, erwiderten sie es. Es war wie ein Spiel … Hast nicht auch du damals mit mir gespielt, Mondschlund?«
    »Ich bin nicht …« Aelarian sprach den Satz nicht zu Ende, da das Mädchen fortsprang und sich hinter der Säule versteckte. Die anderen Kinder, die das Gespräch belauscht hatten, klatschten in die Hände, und wieder sangen sie ein Lied in fremder Sprache. Spottlied oder Schüttelreim, kindischer Unsinn oder geheime Zauberformel … Aelarian wusste es nicht.
    »Du hast mit ihnen gespielt? Was waren das für Spiele?«
    »Weißt du das nicht mehr, Mondschlund? Jagen und Fangen, Tanzen und Raufen. Und am liebsten Verstecken … zwischen den Steinen, hinter den Bäumen, unter den Wellen, auf den Dächern im Dorf. Ein kleiner Schritt zur Seite, und schon war ich unauffindbar. So habe ich mit den Geistern gespielt: mit den Raunenden in den Wäldern, mit den Wellenkindern in der Bucht, mit den Windgängern in stürmischen Höhen. Ich verbarg mich, sie suchten mich … und ich lachte sie aus, weil sie mich selten entdeckten. Bald brachten sie mir bei, mich so zu verstecken, dass niemand mich finden konnte.« Sie lugte hinter der Säule hervor und schnitt Aelarian eine Grimasse.
    »In der Sphäre?« fragte er.
    Sie zog den Kopf zurück. Dann tuschelte sie mit den anderen Kindern und kicherte.
    »In der Sphäre also«, wiederholte Aelarian. »Mit Kinderspielen hast du ihre Freundschaft gewonnen! Wenn ich Rumos davon erzählte, hielte er mich für toll.«
    »Ein Spiel, ja … und doch wieder keins … Ihr Misstrauen war groß. Es gab einige, die mich nicht in der Sphäre haben wollten. Die Nebelkinder! Sie

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