Splitternest
Biegung verschwunden waren. »Wir hätten ihm niemals in das Verlies folgen sollen.« Mit Schaudern dachte er an die Schatten, die der letzte Nachfahre der Aldra in seinem Park beschworen hatte. »Üble Zauberei! Und wir törichten Troublinier rennen ihm nach, kriechen durch schmutzige Gänge … und wofür? Um uns zu verlieren und kläglich zu verdursten. Aelarian hat ganz recht … ein Tölpel bin ich, ohne jeden Verstand. Nun ja … wie der Herr, so das Gescherr.« Kurz schloss er die Augen und rief sich Aelarian in Erinnerung: sein spöttisches Lächeln, die leuchtendroten Haare, die kühne Nase. Seine kräftige Brust. Die großen Hände … ja, vor allem die Hände vermisste er. Einmal noch wollte er sie halten, einmal noch auf seinem Körper spüren. Doch er wusste, dass er Aelarian verloren hatte. Hier unten wartete nur noch der Tod auf ihn.
»Bleibt endlich stehen«, schrie er in den Gang, »oder ich ziehe euch das Fell über die Ohren! Ich wette, jeder von euch gibt einen guten Happen ab.« So abwegig war der Gedanke keineswegs; der Hunger nagte allmählich auch an seiner Moral. Cornbrunn drohte den Verstand zu verlieren in diesen Gängen, die er kaum unterscheiden konnte. Wie oft hatte er wohl dieselbe Kreuzung passiert, ohne es zu bemerken? Und immer wieder, wenn er den Atem anhielt, glaubte er eine Stimme zu hören, ein Raunen … doch es war nicht, wie er zunächst gehofft hatte, Aelarian gewesen, der nach ihm rief. Nein, das Flüstern drang aus den Ritzen der Wände, unverständliche Worte, als trüge jemand aus einem Buch vor, als spräche das Verlies der Schriften selbst zu ihm. Cornbrunn konnte es nicht länger ertragen, und auch nicht die Schemen, die sich auf den Mauern abzuzeichnen schienen … nein, hinter den Mauern, er konnte sie aus den Augenwinkeln beobachten: Für einen Lidschlag wurden die Wände zu Glas, und er sah undeutliche Gestalten hinter ihnen umherhuschen. Nein! Alles nur Einbildung, eine Folge von Durst und Hunger … er durfte nicht den Verstand verlieren!
So stolperte Cornbrunn weiter, ohne sich umzusehen, ohne auf das Raunen zu achten. Er musste sich zusammenreißen, bis zum letzten Atemzug.
Endlich erreichte er die Biegung, hinter der die Kieselfresser verschwunden waren. Dahinter wurde der Gang enger und führte zu einer kleinen Höhle. Ihre Decke war niedrig. An den Mauern wuchs kein Moos, er konnte kaum noch etwas erkennen. Fast wäre er eine schmale Treppe hinabgestolpert, die plötzlich vor ihm in die Tiefe führte.
»Verflixt!« Cornbrunn kniff die Augen zusammen. Am Ende der Treppe entdeckte er die spiegelnde Wasserfläche eines kleinen Sees. Und dort saßen auch Grimm und Knauf auf der untersten Stufe, ihre Schnauzen tief im kühlen Nass. Sie schlabberten es mit flinken Zungen.
»Das ist ja wohl die Höhe. Weg mit euch!« Cornbrunn stürzte sich auf die Treppe, schöpfte das Wasser mit der Hand. Es war klar und kühl. Und nun trank er in gierigen Zügen. Seine ausgedorrte Zunge schien im Mund wie eine Rose aufzublühen.
Erst als sein Bauch zu schmerzen begann, ließ er vom Wasser ab. Auch die Kieselfresser hatten genug und schleppten ihre kugelrunden Bäuche die Stufen empor. Dann tapsten sie zu Cornbrunn und huschten in seine Hosenbeine.
»Das Schicksal meint es wohl doch nicht so übel mit uns. Wenn wir nun noch etwas zu essen fänden, dann wäre es …«
Aus dem Gang drang ein Fauchen. Es klang so bösartig, dass Cornbrunn fast das Herz stehen blieb. Ein dumpfer Flügelschlag folgte, dann ein Scharren an den Wänden … es kam näher!
»… dann wäre es klug, die Beine in die Hand zu nehmen«, fluchte Cornbrunn. Was immer dort durch den Gang auf ihn zuflatterte, er wollte ihm um nichts in der Welt begegnen. Rasch sprang er auf, blickte sich um. Dort! Eine schroffe Kante neben der Treppe. Dahinter nichts als Finsternis.
Er hastete zu dem Versteck, ein Winkel im Gemäuer. Rasch drückte er sich hinein. Schweiß perlte von seiner Stirn.
Das Flügelschlagen wurde schwerer und langsamer. Erneut hörte Cornbrunn ein Fauchen, nun ganz nah. Vorsichtig lugte er um die Ecke.
Nur wenig Licht fiel vom Gang in die Höhle ein. Kurz verdunkelte sich der Eingang. Schwarze Schwingen. Ein krummer Hals. Ein Kopf mit knotigem Schnabel. Es war ein Schwan, ein Schwan mit schwarzem Gefieder. Er landete auf der obersten Treppenstufe und legte die Flügel an. Sein Kopf fuhr umher, und Cornbrunn sah zwei Augen aufleuchten, gläsern und tot.
Er hatte schon einmal in sie geblickt,
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