Splitternest

kurz nach der Trennung von Aelarian, als er im Gang eine schwarze Feder aufgehoben hatte. Dieselben Augen.
    Erschrocken zog er den Kopf zurück. In seinen Kleidern schnauften die Kieselfresser. Mit einem Klaps brachte Cornbrunn sie zum Schweigen.
    Der Schwan zischte. Ein Platschen folgte; er musste sich in den See gestürzt haben. Flügelschlagen. Wassertropfen spritzten durch die Höhle. Einer traf Cornbrunns Arm, rann an ihm herab.
    »Es schmerzt … es schmerzt so sehr … Haut, Knochen, alles, alles!«
    Die helle Stimme eines Kindes. Wieder peitschte Wasser durch die Luft.
    »Er hat mir nicht gesagt, dass es so weh tun würde! Der Knochen, o Rumos … die Flamme brennt so heiß in meinem Herz. Die Ewige Flamme, ja … und du mit deinen dunklen Schwingen, wo trägst du mich hin? Was soll ich in diesem Irrgarten? Es … schmerzt so!«
    Cornbrunn lauschte der verzweifelten Stimme, die zu sich selbst sprach, immer wieder unterbrochen von einem Zischen.
    »Wann darf ich zurück an die Oberfläche? Was tue ich hier, Rumos? … ja, die Kette! Die Kette suchst du, kleiner Tropf! Hat Baniter Geneder wohl die Wahrheit gesagt, als er dir im Kaisersaal gegenübertrat … noch sind nicht alle Ketten der Gründer vernichtet! Du glaubtest, die letzte zu besitzen, die einzige … aber eine gibt es noch: die Kette der Aldra.«
    Nun wusste Cornbrunn, wovon der unheilvolle Vogel sprach. Die Kette der Aldra! Die silberne Fürstenkette des Schattenspielers!
    »Er muss ganz in der Nähe sein! Du hast ihn doch gewittert, mein dunkler Gefährte, du, der aus mir spricht … aber immer sehe ich nur Schatten zwischen den Mauern, und er ist fort, und ich bin nur ein Kind, zu jung, um diese Schmerzen zu ertragen.« Ein Schluchzen hallte durch die Höhle. »Was soll ich tun, Rumos? Soll ich ohne die Kette nach Vara zurückkehren, zurück auf den Thron? Mich Mondschlunds Brut stellen, die Menschen um mich scharen? Nein! NEIN! Mondschlund kann warten … um ihn kümmern wir uns zur rechten Zeit. Erst muss der Weltenwanderer büßen! Er ist gefährlicher, so hat es Rumos mir eingebläut. Und alle, die ihm folgen, alle, die sich in seinen Schutz begeben, müssen durch das Tal von Nekon schreiten, ja, das müssen sie, Uliman, das ist deine Pflicht als letzter Erbe der Gründer! Dafür hat die Bathaquar dich ausgebildet, dafür wurde dir der Knochen ins Herz gepflanzt. Durta Slargin soll an seiner eigenen Magie ersticken … er, der uns belogen hat, der die Goldéi auf uns hetzte, der die Menschheit von Gharax wegführen will. Lass ihn den Hauch von Nekon schmecken! Ihn und alle, die ihm folgen!«
    Die Worte waren so voller Hass, dass Cornbrunn sich nicht mehr beherrschen konnte. Er musste sehen, was dort in der Höhle geschah. Erneut spähte er um die Ecke.
    Im See, kaum zu erkennen in der Dunkelheit, stand ein Knabe. Er war nackt, die dürren Beine zitterten im kalten Wasser. Blonde Locken fielen in seinen Nacken und verdeckten das Gesicht. Doch statt Armen wuchsen Schwingen aus seinen Schulterblättern; pechschwarze Federn, von denen das Wasser tropfte. Sie wirkten fremd an seinem Körper, wie aufgepfropft, und doch beherrschten sie seine Bewegungen, zwangen ihn allein durch ihre Größe in die Knie. Aus dem Rücken wuchsen weitere Federn, bebten und sträubten sich, schienen dem Kind entsetzliche Qualen zu bereiten. Halb sank es ins Wasser, halb hielt es sich aufrecht, und der Kopf schien sich vom Körper zu lösen … nein, er war mit einem dürren Schwanenhals verwachsen. An ihm baumelte eine silberne Kette mit einem Amulett.
    Der Hals krümmte sich zum Wasser, bis der Junge sein Gesicht benetzen konnte. Er trank einige Schlucke, brabbelte dann weiter vor sich hin.
    »Durchs Tal von Nekon sollen sie schreiten, sie alle … die Flamme in dir wird auflodern, kleiner Uliman, und der Weltenwanderer wird japsen so wie du, als du mit mir eins wurdest … mein dunkler Gefährte der Bathaquar! Flieg, stolzer Schwan, schwing dich in die Lüfte, sieh dir Sternengängers übles Werk von oben an … sieh die schlammbedeckte Scholle, die er aus dem Meer gezerrt hat! Japsen soll er, der Niederträchtige! Der Hauch von Nekon soll seine Lungen füllen.«
    Der Knabe hielt inne, sein Kopf fuhr herum. Gläserne Augen starrten in Cornbrunns Richtung.
    »Warte, Uliman … ich kann die zweite Kette spüren! Ist Aldra doch hier?« Er fauchte. Die Flügel spreizten sich, bis sie den See fast überspannten. »Komm, Aldra, tritt hervor, damit ich dir die Kette