Splitternest
nicht eher zurück! Er muss … bei mir sein!«
Die Priesterin hatte einen Kelch vom Boden aufgenommen. Sie rührte ihn mit einem Löffel um, reichte ihn der Königin. »Denkt nicht mehr daran. Trinkt von Raquais Beere. Sie wird die Schmerzen lindern und Euch in Liebe zu dem Kind entbrennen lassen, so wie die Sonne das Feuer liebt.«
Inthara starrte auf den Kelch. »Hat auch meine Mutter von ihr gekostet, ehe sie mich zur Welt brachte?« Sie schlug das Gefäß verbittert zur Seite. »Ich will den Trunk nicht! Gebt mir das Kästchen.«
Einer der Mönche reichte ihr eine silberne Kassette. Auf dem Deckel glänzte eine eingelassene Mondsichel. Inthara öffnete ihn mit bebenden Fingern und holte zwei glanzlose Brocken hervor: schwarze, brüchige Klumpen, trocken wie Kohle, doch dunkler und schwerer. Der Anblick ließ alle Umstehenden frösteln. Die Anub-Ejan wichen zurück. Viele murmelten Agihors Namen.
Die Schwangere umschloss die Brocken so fest, dass alles Blut aus ihren Fingern wich. »Glams Geschenk … es hat uns vor den Schatten gerettet und wird es wieder tun.« Sie presste die Hände gegen ihre Stirn. »Mir ist, als träumte ich; den Traum von einer Nacht, die niemals endet, von einem Tag, der niemals anbricht … keine Sonne und kein Mond! Agihors letzte Wiederkehr, für immer … denn Arphat lebt, HIER, in dieser Stadt, die niemals untergeht … und mein Kind? Die Menschen werden es fürchten, ja. Und doch werden sie gehorchen, ihm und mir und Baniter. So singt es die Stimme!« Sie blickte zum Fenster und auf den bleichen Mond. »Man sagt, ich trüge Agihors Blut in mir. Bin ich wirklich die Tochter des Sonnengottes? Bin ich es?«
»Ihr seid es«, erwiderte die Priesterin erschrocken. »Niemals dürft Ihr daran zweifeln.«
Inthara nickte unter Tränen. »Warum lässt er es dann zu, dass Arphat untergeht? Dass die Sonne erlischt und ewige Dunkelheit anbricht? Die Schatten kommen näher.« Sie hob beide Fäuste empor. Blut perlte zwischen den Fingern hervor, benetzte ihre Lippen, rann an der dünnen Narbe in ihrem Mundwinkel herab.
Im Saal änderte sich das Licht. Der Mond schien sich selbst zu verzehren, seine Strahlen verkümmerten, verpuppten sich wie Raupen in der Dunkelheit. Nur die Laternen und Fackeln der Arphater durchdrangen noch die Finsternis.
»Sie kommen, kommen näher, sie kommen …« Ihre Worte gingen in einen Schrei über. Finsternis tropfte herab wie zäher Regen und sammelte sich über dem Lager der Königin. Die Anub-Ejan zogen ihre Säbel, grünglimmender Stahl. Eine Fackel erlosch mit zischendem Laut, als der lebende Schatten sie streifte.
»Schützt die Königin«, schrie Ejo. »Umringt das Lager!« Polternde Geräusche vor der Saaltür! Fäuste hieben gegen das Holz. Jemand verlangte nach Einlass. Die Angeln knirschten. Intharas Schrei verebbte, nur ihr Keuchen war noch zu hören und das Wispern der Raquai-Priesterin, die sie zu beruhigen versuchte.
Der Schatten sank herab. Einer der Mönche warf seinen Säbel fort, rief verzweifelt Agihors Namen. Dann fuhren seine Hände zum Gesicht. Seine Augen glänzten starr, als sähen sie den Abgrund, in den er nun stürzen musste.
Das Trommeln an der Tür brach ab. Nun schwang der linke Flügel zurück. Kalte Luft strömte in den Saal. Menschen drängten sich durch die Türöffnung: sie trugen fremdartige Kleider; candacarische Tücher, kathygische Mäntel, Hemden aus Gyr. Ihre Schritte waren unsicher, die Bewegungen schleppend.
»SEID UNBESORGT! WIR WOLLEN NUR ZU IHR UND ZU DEM KIND, VON DEM MONDSCHLUND UNS SANG. WIR WOLLEN ES EMPFANGEN … SEID UNBESORGT!«
Ihre Augen funkelten gespenstisch. Der Große Ejo duckte sich. Der Säbel in seiner Hand zitterte. »Schützt die Königin! Sie dürfen nicht in ihre Nähe gelangen!«
Die Mönche hörten ihn nicht mehr. Der Schatten waberte um ihre Köpfe, und sie sanken nieder, flehten die Götter an, wanden sich auf den Steinen, lachten und weinten, bohrten die Finger in ihre Augenhöhlen … die stolzen Anub-Ejan, Leibwachen der Königin, fielen wie Blätter im Herbst. Keiner von ihnen entkam.
Inthara wimmerte. Ihr Oberkörper bohrte sich in die weichen Kissen des Lagers. Nur das Raquaikleid leuchtete in der Finsternis; die Seidendecke unter ihr sog sich mit Blut voll. Sie schrie nicht mehr, nur ihr rastloser Atem war zu hören.
»ALLES IST SO, WIE MONDSCHLUND ES VERSPRACH,« murmelten die Fremden, die sich Inthara näherten, »DER TOD IST NICHT DAS ENDE! WIR OPFERTEN DAS AUGENLICHT, UM
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