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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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seine Sinne nur die Äußere Schicht der Quelle ertasten; die Innere Schicht konnte er nicht erreichen.
    Nhordukael kannte den Grund. Das Verlies war noch nicht ganz mit der Oberfläche verschmolzen, die Sphäre nahm erst langsam Besitz von den Gängen. Zwar war er stark genug, um das Auge der Glut zu beschwören, doch er konnte noch nicht in die Sphäre zurückkehren. Aber dies musste er, so rasch wie möglich. Denn dort lauerten Mondschlund und Sternengänger, sie rüsteten sich für den letzten Kampf um Gharax. Und Sternengängers Geschöpf, der erste Auserkorene, wartete mit seiner Maske auf ihn, mit einem Heer der Silberklauen. Er schritt denselben Leidensweg wie ich, dachte Nhordukael traurig. Längst wusste er, wie eng sein Schicksal mit jenem Kind verbunden war. Zweimal hatte er gegen es gekämpft, zweimal war er von den silbernen Klauen fast zerrissen worden. Ich konnte mich Mondschlunds Worten entziehen. Aber er war zu schwach und zu jung … ich wünschte, ich könnte ihn von Sternengängers Bann befreien.
    Nhordukael wandte sich um. Sein Blick schweifte über die Stadt, die von der Treppe aus gut zu überblicken war. Die Türme mit ihren kühnen Ausbuchtungen, die breiten Straßen, verschlungenen Wege und Treppen, Rinnen aus Glas, die unter dem Nachthimmel funkelten … der Mond schien über der fremdartigen Stadt. Doch er verblasste von Tag zu Tag mehr; die Türme hingegen schienen sein Licht in sich aufzunehmen, und sie warfen ihr Abbild durch die gläsernen Straßen in die Tiefe, wo in riesigen Hallen weitere Gebäude ihrer Erweckung harrten.
    »Bald erlischt er ganz.« Sardresh von Narva deutete auf den Mond. »Wenige Tage noch. Dann ist das Verlies aus der Tiefe emporgewachsen. Dann ist Vara erneuert. Nach meinem Entwurf. Nach meinem Plan.«
    Sein Lächeln erstarb rasch, als Nhordukael zu ihm herumfuhr.
    »Ja, du kannst stolz auf dich sein. Du hast Mondschlund geholfen, diese Stadt zu erschaffen.« Nhordukael machte aus seinem Abscheu keinen Hehl. »Und du warst nur einer seiner Handlanger – so wie Sai’Kanee oder der Solcata-Mönch, der am Tag der Ernte einen Goldéi auf mich hetzte, damit ich als kommender Hohepriester verehrt werde. So viele haben Mondschlunds Pläne mitgetragen, aus Furcht oder Verblendung. Oder aus Selbstsucht, so wie du, Sardresh.«
    Der Baumeister schien empört. »War es falsch? Mondschlund reichte mir die Hand. Und ich nahm sie. Er bat mich, diese Stadt zu gestalten. Die Stadt, in der wir Menschen fortan leben werden. Leben müssen. Unsere Zuflucht! Die Welt wird den Goldéi gehören. Nur hier können wir bestehen. Hinter den Mauern! Eines Tages wird man mir danken. Und auch ihm.‹.‹ Er blickte auf die Skulptur, deren Wispern noch immer deutlich zu hören war.«
    Nhordukaels Augen sprühten Funken. »Baniter Geneder ist nicht freiwillig in das Gestein gegangen. Du hast ihn in das Verlies geführt, und Sai’Kanee stieß ihn mit Durta Slargins Stab in die Wand. Er wollte nicht zu einem Diener Mondschlunds werden.«
    »Aber herrschen wollte er! Wie sein Großvater. Wie alle Geneder.« Sardresh erhob sich. »Er wollte mächtig sein. Das ist er nun! Ein neuer Kaiser. Ein Erbe der Gründer. Er muss die alten Legenden weitererzählen. Er ist der einzige, der in Frage kam. Seine Familie war auserkoren.«
    »Auserkoren … dieses Wort wird mir immer verhaßter.« Nhordukael betrachtete die Skulptur. Baniters Körper war vollständig mit dem Schwarzen Schlüssel verschmolzen. »Er ist Mondschlunds Sklave geworden. Das Verlies zwingt ihn, aus diesem Buch zu lesen, aber er tut es nicht aus freiem Willen.«
    Sardresh nickte. »Er liest, um die Stadt zu erwecken. Die Legende ihrer Entstehung … Nur so kann sie wahr werden. Wir müssen wissen, woher wir kommen. Wir müssen wissen, wohin wir gehen. Die Stadt aller Städte braucht einen Anfang. Jemand muss von ihm erzählen.«
    »Eine erdachte Legende«, spottete Nhordukael, »wie die Bezwingung der Quellen durch Durta Slargin. Mondschlund will, dass alle Menschen von seinen Großtaten sprechen. Doch werden sie wissen, dass sie ihre Körper aufgeben mussten, um in dieser Stadt überleben zu können?« Flammen stoben von seinen Fingerspitzen. »Nicht allein Mondschlund und Sternengänger sind schuld am Untergang dieser Welt. Ihre Lügen wären längst verhallt, hätten nicht einige Menschen sie weitererzählt, um selbst mächtig zu werden. Menschen wie du, Sardresh.«
    Der Baumeister wich jammernd zur schwarzen Tafel zurück. Seine

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