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Splitternest

Titel: Splitternest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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hat.«
    Das Kind lachte auf. »Hat er das? Hört, hört! Und ich dachte, er hätte sie euch geschenkt! Aber an dir sieht man, wie ihr Zauberer mit einer solchen Gabe umgeht … deshalb darf man euch nicht aus den Augen lassen, deshalb braucht ihr einen Durta Slargin, zu dem ihr aufsehen könnt, oder einen Gott namens Tathril. Wie sagte Baniter Geneder gleich – es wäre keine Freiheit, wenn ich im Verborgenen das Schicksal der Menschen lenkte? Dass ich nicht lache! Ohne mich herrscht Wahn; ohne mich herrscht die Willkür der Bathaquar. Die Logen und die Kirche waren ein Versuch, euch zu etwas mehr Weisheit zu verhelfen … aber alles umsonst, leider.«
    Rumos starrte ungläubig zu dem schwebenden Kind auf. »Du bist nicht der Auserkorene«, sagte er mit Grauen in der Stimme. »Nein, nein … er ist es nicht, Carputon! Er ist es nicht!« Flammen stoben aus seinem Armstumpf. »Aber das kann nicht sein! Die Prophezeiung muss wahr sein, sie muss es …«
    Eine der silbernen Klauen löste sich von Laghanos und schwebte auf ihn zu.
    »Sei nicht kindisch, Knochenräuber. Die Prophezeiung ist Unsinn; leere Worte, nachgeplappert von unzähligen Bathaquari, die nicht über sie nachdenken wollten. O sicher, in ihr steckt ein wahrer Kern, wie in allen Geschichten. Denn der alte Bathos hatte mich wirklich durchschaut und deshalb mein Grab geplündert. Aber leider glaubte er, seine Erkenntnisse der Nachwelt überliefern zu müssen. Trau keiner Überlieferung, Knochenräuber … die Macht der Legenden ist tückisch.« Das Kind riss die Fäuste empor. »Am Ende waren mir seine Zeilen, niedergekritzelt in seinem Gefängnis unter dem Dom zu Vara, recht nützlich. Ein paar Veränderungen hier und da genügten. Deshalb bist du ja hier, Rumos, und bringst mir die Knochen meines alten Körpers zurück, die ich schmerzhaft vermisse. Dafür mein Dank!«
    Die Silberklaue schloss sich um Rumos’ Arm, zerrte mit unbändiger Kraft an ihm. Der Bathaquari heulte auf, als sich der Armstumpf mitsamt dem Knochen vom Schulterblatt löste. Er taumelte, wollte fliehen; doch seine Füße rutschten fort. Er ging zu Boden. Aus seinem Mund drang Gestammel. »O Rumos, lass uns fortgehen … fort von dieser Insel, fort von ihm, von IHM … der Weltenwanderer ist heimgekehrt, und wir, Carputon, holten ihn herbei!«
    Weitere Klauen packten Rumos und schleiften ihn über den Sand, warfen ihn vor die Füße des Auserkorenen.
    »Horch«, flüsterte der Knabe, der einst Laghanos gewesen war. »Hörst du das Prasseln in der Ferne, Rumos? Das ist der Tod! Er kommt zu dir … unsterblich wähntest du dich, seit du meinen Knochen gefressen hast und die Ewige Flamme in dir aufloderte. Durch sie sollst du nun sterben. Brenne, Knochenräuber.«
    Die Klauen rissen Laghanos empor, durch das offene Dach der Ruine in den Nachthimmel, den der rötliche Schleier des Morgens färbte. Schon war er Rumos’ Blicken entschwunden. Er krümmte sich im Sand, heulte, wimmerte, starrte auf seinen abgerissenen, flammenumzuckten Arm, den die Silberklauen nun ebenfalls durch die Luft forttrugen. Wie der Schweif eines Kometen verglühte er am Nachthimmel.
    »Rumos, mein Herr Rumos … wird sind verloren!« Er wand sich im knirschenden Sand. »Nein, schweig, Carputon, noch nicht! Solange ein Funke in mir brennt, schwelt auch mein Hass! Der Weltenwanderer wird dafür bezahlen, ich verspreche es, ich hole mir den Knochen zurück, verfolge ihn durch die Sphäre … den Kopf will ich ihm abreißen, den Knochen in seinen Hals schieben, tief in die pochende Wunde, bis die Flamme seinen neuen Körper auszehrt! Ja, Carputon, das will ich tun … hilf mir auf die Beine, hilf mir!«
    Der Himmel leuchtete hellrot. Doch es war nicht die Dämmerung. Ein Feuerschein erfasste die Ruine. Gluthitze schwelte durch die Mauerritzen. Die Steine zerrannen, zerschmolzen vor seinen Augen, und ein ohrenbetäubendes Prasseln war zu hören.
    Nun erst erkannte Rumos, wer sich dort den Weg durch die Trümmer bahnte. Flammendes Haar, flammende Hände, ein Körper aus Feuer … es brannte dunkelrot wie sein eigenes zerrissenes Herz.
    »Du?« Seine Stimme überschlug sich. »Du bist es?«
    Er warf sich auf sie mit letzter Kraft, versuchte ihr den Knochen zu entwinden, den sie in ihrer brennenden Faust hielt … sie, die wie eine Fackel glühte und alles versengte, während sie König Tarnacs Namen schrie: »Tarnac, mein Bruder, mein Geliebter, Blut von meinem Blut, Fleisch von meinem Fleisch«, und dieses Fleisch, von

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