Splitternest
dem sie sprach, schälte sich längst von den Knochen und zerfiel in der Glut. Sie packte den Priester nun mit beiden Händen, würgte ihn, warf ihn zu Boden, drückte ihn in die zerschmolzenen Bodenplatten der Ruine. Schreiend klammerte sich Rumos an sie, wie damals, als sie beide vor der Insel Fareghi im Wasser getrieben waren, mit derselben Todesangst … doch statt von Wasser waren sie von prasselnden Flammen umgeben, statt den tosenden Wellen des Silbermeers stürzten die Trümmer der Ruine auf sie ein, und sie versanken im glühenden Sand, im flüssig gewordenen Gestein: Rumos Carputon und Cydra Ashnada, von Sternengängers Knochen geknechtet, von der Ewigen Flamme verzehrt.
Der Morgen breitete seinen Mantel aus. Noch herrschte die Nacht; Sterne funkelten am Himmel, doch die ersten erloschen bereits. Bald würde die Sonne aufgehen und das Meer in helles Licht tauchen.
Wellen schlugen sanft an Kahidas Grab. Es lag an der Westküste Tyrans, abgeschirmt von einer brüchigen Mauer.
Sie warf einen dunklen Schatten auf das Grab … ein glatt geschliffener Salphurstein. Auf ihm saß mit angewinkelten Knien eine Frau. Sie trug ein rotes Kleid, das Haar war offen und wehte im salzigen Wind.
Kahida blickte auf das Meer, auf die Schiffe der Goldéi. Hinter ihr waberte der Schatten der Mauer; er schien den Morgen zu fürchten.
»Wo bist du, Sonne? Ich habe dich immer geliebt, deine Strahlen, deine Wärme. Hab’ nie verstanden, warum Mondschlund und Sternengänger die Nacht so verehrten, den Mond und die Sterne.« Ihre Augen wanderten empor. »In der Sphäre herrscht ewige Dunkelheit. Ich wollte sie nicht nach Gharax tragen. Die Menschen brauchen das Licht.«
Die Sterne funkelten über ihr, fast silbern. Ihre Schönheit ließ Kahida aufseufzen. Und die Sterne stiegen herab … silberne Klauen, die zu ihrem Grab schwebten. Sie trugen den Körper eines Knaben mit sich, setzten ihn behutsam am Meerufer ab. Seine nackten Füße wurden vom Wasser umspült.
Kahida blickte das Kind mit großen Augen an. Sie beugte sich vor und berührte seine goldene Maske. Die Sporne glitten beiseite und ließen sie gewähren.
»Sternengänger! Du bist zurückgekehrt.« Sie lächelte. »Aus der Dunkelheit kommst du zu mir … ach, so lange habe ich dich nicht gesehen. Aber dein Gesicht ist mir fremd. Bist auch du dem Fluch des Goldes erlegen, so wie Mondschlund?«
Sternengänger schüttelte den Kopf. »Es ist kein Fluch. Ich habe lange gebraucht, um seine Macht zu verstehen.« Er griff nach ihrer Hand. »Kahida … ich wusste, dass ich dich hier finden würde. Dein Geist ist ruhelos wie meiner. Athyr’Tyran hält uns noch immer fest, uns beide.«
Sie wandte den Kopf. Auf der Insel, weit hinter der Mauer, schwelte ein tiefrotes Feuer auf den Felsen. Das Krachen der zerspringenden Steine war bis zum Grab zu hören. »Dort brennt das Haus, in dem ich dich zum ersten Mal küsste, Sternengänger. Weißt du es noch? Wir waren Kinder, Spielgefährten, und es herrschte Frieden in Athyr’Tyran. Du fragtest mich damals, ob ich dich in die Sphäre mitnehmen könnte, von der ich dir so viel erzählt hatte. Du warst so süß, deine Augen funkelten voller Neugier, wie in der Nacht die Sterne. Da nahm ich deine Hand und zog dich lachend empor, in die Dunkelheit der Sphäre. Ich vertraute dir.«
Sie wollte ihm die Hand entziehen. Doch Sternengänger fiel auf die Knie, küsste ihre Finger. »Kahida … ich weiß, was ich dir angetan habe. Es war nicht meine Idee, dich an diesen Ort zu locken. Mondschlund wollte es.« Er legte die andere Hand auf den Salphur, um die Kälte des Steins zu spüren. »Du solltest nicht sterben. Mondschlund hatte versprochen, dich nur zu betäuben. Wir wollten doch nur den Schlüssel, den du so eifersüchtig gehütet hast.« Tränen flossen unter der Maske hervor. »Ich habe dich eigenhändig begraben, mir die Finger blutig gerissen an dem Geröll. Ich war es auch, der diesen Salphurstein herbeischleppte; und ich errichtete die Mauer um dein Grab, damit du hinter ihr Ruhe findest, am Wasser.«
Sie küsste seine Stirn. »Ach, Sternengänger … schweig, ich will nichts davon hören. Du hast mich getäuscht, so wie Mondschlund. Ihr wolltet selbst mächtig sein und Athyr’Tyran auslöschen. Es war so sinnlos und dumm von euch.«
Die Silberklauen, die hinter Sternengänger gewartet hatten, packten nun wieder seinen Körper und halfen ihm auf die Beine. »Ich habe Fehler begangen, das weiß ich. Lass es mich dieses Mal
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