Splitterwelten 01 - Zeichen
Weltenherrscher nicht in der Lage ist, für Recht und Ordnung zu sorgen.«
Erik sah nervös zu seinem Vater, offenkundig in banger Erwartung von dessen Reaktion – doch Thor Magnusson blieb weiter beherrscht.
»Sieh an«, sagte er nur und hob eine buschige Braue, »das klingt schon eher nach Euresgleichen, Gildeschwester. Zeigt Ihr nun Euer wahres Gesicht?«
»Was erwartet Ihr? Die Skolls haben zwei meiner Mitschwestern bestialisch getötet, doch anstatt Eure Mitverantwortung für ihren Tod zuzugeben und Euer Versagen einzugestehen, versucht Ihr, anderen die Schuld zu geben!«
»Das sind schwere Anschuldigungen, die Ihr gegen meinen Vater vorbringt«, wandte Erik in einem weiteren Vermittlungsversuch ein. »Was hätte er Eurer Ansicht nach tun sollen?«
»Was wohl? Diese elenden Kreaturen bekämpfen, solange Zeit dazu war«, zischte Kalliope.
»Glaubt Ihr, das hätte ich nicht getan?«, fragte Magnusson. »Die Bewohner der Fenrismark sind von jeher unsere Feinde.«
»Ich weiß, dass Ihr sie bekämpft, die aufgespießten Häupter über den Zinnen Eurer Burg und das Wolfshaar an den Speeren Eurer Krieger sprechen eine deutliche Sprache«, räumte Kalliope ein. »Aber Ihr tut es, um Eure Ehrsucht zu befriedigen und Eure Lust am Kampf, und nicht, um der Ordnung zum Sieg zu verhelfen und eine dauerhafte Lösung zu schaffen.«
Ein undeutbares Lächeln spielte um die bärtigen Züge des Weltenherrschers. »Wie sollte eine solche Lösung aussehen?«
»Das fragt Ihr mich, eine einfache Schülerin?« Kalliope schüttelte den Kopf. »Dabei wisst Ihr es doch längst selbst. Die Skolls sind eine Bedrohung für uns alle. Sie hätten längst vernichtet werden sollen.«
»Ihr würdet eines einzigen Mörders wegen ein ganzes Volk vernichten.«
»Kein Volk«, verbesserte sie, »nur geistlose Animalen, um das Gleichgewicht der Kräfte im Sanktuarion zu wahren.«
»Gleichgewicht«, fiel Magnusson ihr spöttisch ins Wort. »Die Gilde spricht gern vom Gleichgewicht.«
»Das Gleichgewicht ist der Ursprung unserer Existenz«, erinnerte ihn Kalliope. »Ohne Gleichgewicht kann nichts auf Dauer bestehen.«
»Ist das Euer Verständnis von Gleichgewicht, wenn eine ganze Art ausgerottet wird?«, fragte der Fürst. »Ihr dürft mir glauben, Gildeschülerin, dass ich die Skolls nicht weniger hasse als Ihr. Sie haben meinen Vater und meinen Bruder getötet, als ich noch ein Junge war, und gerade genug von ihnen übrig gelassen, dass meine Mutter und ich sie bestatten konnten.«
»Das … wusste ich nicht«, sagte Kalliope, immer noch wütend.
»Jedes Mal, wenn ich diese elenden Kreaturen sehe oder sie auch nur rieche, überkommt mich Ekel«, fuhr der Herr von Jordråk fort, »und den Schmerz, den sie mir zugefügt haben, werde ich wohl nicht mehr los bis zu dem Tag, da mich mein eigenes Ende ereilt. Aber dennoch«, fügte er grimmig hinzu, »haben sie ebenso ihre Berechtigung im Plan der Götter wie wir. Sie sind ein Teil des Lebens, ebenso wie die Geburt, der Kampf und der Tod. Das ist Gleichgewicht, Gildeschülerin – und nicht das, was Euresgleichen darunter versteht. Wenn die Gilde vom Gleichgewicht des Sanktuarions spricht, dann ist damit vor allem ihr Gleichgewicht gemeint. Das, was der Gilde dient.«
»Das ist nicht wahr«, wandte Kalliope ein.
»Mein Alter und meine Erfahrung befähigen mich dazu, Euch zu beurteilen, Gildeschwester«, sagte Magnusson, »deshalb kann ich sehen, dass Ihr in fester Überzeugung sprecht und in bester Absicht handelt. Das wahre Wesen der Organisation jedoch, in deren Dienst Ihr Euer Leben gestellt habt, habt Ihr nicht im Ansatz durchschaut.«
Kalliope erwiderte nichts. Hätte der Weltenherrscher sie lauthals beschimpft und für ihre Anmaßung gescholten, wäre es einfach gewesen, seine Worte zu ignorieren. So jedoch trafen sie wie Pfeile.
»Wie Ihr schon sagtet«, fuhr der Fürst fort, »bin ich nur Herrscher einer entlegenen Außenwelt und daher nicht in der Lage, die Pläne der Gilde zu durchschauen. Aber ich weiß, dass sie einem gefräßigen Monstrum gleicht, das der Weltenschlange Jormungand ähnlich immer noch größere Teile des Sanktuarions verschlingt und ihrer Kontrolle zu unterwerfen sucht. Und womöglich ist es ja ihr Ziel, die absolute Herrschaft über die Große Kluft zu erlangen, auf dass es keinem Wesen mehr erlaubt sei, frei zu atmen, sei es nun Mensch oder Chimäre.«
Kalliope schüttelte blind vor Wut den Kopf.
So nachdenklich sie seine Worte anfangs gemacht haben
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