Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
irgendetwas getan, das das Wolfsmal verschuldet hätte.«
    »Woher willst du das wissen?«, rief Kalliope in ihrer Wut und Verzweiflung. »Dein Vater ist ein Barbar, genau wie du!«
    »Und was bedeutet das?«, fragte er dagegen. »Dass wir Unzucht mit Animalinnen treiben? Hast du in der Zeit, die du nun hier weilst, denn gar nichts gelernt?«
    »Doch«, versicherte sie voller Bitterkeit. »Ich habe gelernt, dass ich niemandem trauen darf. Meine Meisterin hat es mir gesagt, aber ich hatte es für eine Weile vergessen. Dir kommt das Verdienst zu, mich wieder daran erinnert zu haben.«
    »Willst du so werden wie sie?«, fragte Erik durch die Tür.
    »Was?«
    »Ist es das, was du willst, Kalliope? So werden wie deine Meisterin?«
    »Ja, das will ich«, versicherte sie, »mehr als alles andere!«
    »Du willst in Einsamkeit leben? Einer Organisation verpflichtet, die sich nicht an ihre eigenen Regeln hält?«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Das weißt du genau. Ich habe es dir gezeigt, Kalliope. Du hast es mit eigenen Augen gesehen. Ich mag dich über meine wahre Natur im Unklaren gelassen haben, Kalliope, das bedaure ich sehr. Aber die Gilde hat dich noch ungleich mehr getäuscht.«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Glaubst du, ich wüsste nicht, wie ihr über meinesgleichen denkt? Dass wir Kreaturen ohne Gewissen und ohne Seele wären? Dass wir selbst Schuld trügen an unserer Existenz? Das alles ist nicht wahr, Kalliope! Niemand hat in der Hand, ob er als Chimäre geboren wird oder nicht. Auch bei meinem Großvater ist es so gewesen, während mein Vater davon verschont geblieben ist. Es ist ein Wink des Schicksals, eine Laune der Natur …«
    »Die Natur kennt keine Launen«, widersprach Kalliope. »Alles ist im Plan der Schöpferin berücksichtigt.«
    »Wenn eure Schöpferin alles in ihrem Plan berücksichtigt hat, dann doch sicher auch Wesen wie mich.«
    »Nein«, widersprach Kalliope entschieden. »Unzucht und Bosheit haben euch erschaffen!«
    »Das hat man dich gelehrt? Aber würde das nicht bedeuten, dass die Unzucht und die Bosheit der Sterblichen stärker wären als die Kraft der Schöpferin? Dass sie in ihrem Plan nicht alles berücksichtigt hätte?«
    Kalliope blieb eine Antwort schuldig. War dies tatsächlich ein Widerspruch? Eine Priesterin oder Schriftenkundige hätte fraglos eine passende Erwiderung parat gehabt – Kalliope jedoch, innerlich erregt und aufgewühlt, wie sie war, konnte sich eines gewissen Zweifels nicht erwehren.
    Sollte Erik womöglich recht haben? Wurden die Schwestern der Gilde bewusst getäuscht? Oder war es nicht vielmehr andersherum, und die Chimäre tat genau das, wovor man die Gildeschülerinnen stets warnte, nämlich ihr Netz aus Lüge und Intrige auszuwerfen, auf dass sich Unschuldige darin verfingen und verdorben würden …
    »Du lügst!«, rief sie trotzig. »Alles, was du sagst, ist Lüge!«
    »Die Entscheidung darüber musst du selbst treffen«, erwiderte er.
    »Da gibt es nichts mehr zu entscheiden! Schon in wenigen Tagen werden meine Mitschwestern eintreffen, um den Mord an Meisterin Cedara zu untersuchen. Dann werde ich diese Welt verlassen und niemals wieder zurückblicken.«
    »Du glaubst, das könntest du?«
    »Ich weiß, dass ich es kann.«
    »Dann sag mir, dass es dir nicht gefallen hat«, verlangte Erik. »Dass du die Gesellschaft der Menschen auf Jordråk nicht genossen hast. Dass du hier bei uns das Leben nicht von einer Seite kennengelernt hast, die dir bislang verschlossen war. Sag es mir, und ich werde gehen und dich in Ruhe lassen.«
    Kalliope zögerte, und es war ihr, als würde in ihrem Kopf Meisterin Cedaras Stimme ertönen, die ihr die Worte des Codex vortrug: Von allen Kreaturen jedoch hüte dich am meisten vor der Chimäre, denn ihr Blut ist unrein und ihre Verschlagenheit groß. Sie wird versuchen, dein Wohlwollen zu gewinnen oder dein Mitleid zu erregen. Weh der Schwester, die ihren Lügen erliegt …
    Gerade wollte Kalliope etwas erwidern, als sie hörte, wie Eriks Schritte sich entfernten.
    Mit leisem Nachhall verklangen sie, und Kalliope war wieder allein – doch sie verspürte keine Erleichterung.
    Die Tränen, die sie zuletzt mühsam zurückgehalten hatte, brachen sich wieder ungehindert Bahn, und sie wusste nicht, ob es Tränen der Wut waren oder der Trauer.

3. Kapitel
    Das Tier, dessen weit gespannte, von glatter Haut überzogene Flügel die Farbe von Schiefer hatten, glitt mit atemberaubender Geschwindigkeit durch die Lüfte.
    Es war ein

Weitere Kostenlose Bücher