Splitterwelten 01 - Zeichen
Di-Di-Dieb ist«, verteidigte sich Kieron unbeholfen.
»Dieb hin oder her – du hättest nicht fliehen dürfen! Nicht nach allem, was ich für dich getan habe!«
»Es tut mi-mi-mir leid!«, stammelte Kieron.
»Du entschuldigst dich?«, fragte Croy fassungslos. »Nachdem er dich über Jahre hinweg als Sklave gehalten hat?«
»Was erwartest du von einem Menschen?«, erwiderte Jago gehässig. »Er würde mir auch dann noch aus der Hand fressen, wenn ich ihn regelmäßig geschlagen hätte – was ich, bei Licht betrachtet, auch getan habe.«
»Ist das wahr?«, wollte Croy von Kieron wissen.
»Nun – ja«, gestand der Junge ein. »Aber es hat n-n-nicht sehr we-wehgetan. Jago ist nicht besonders krä-kräftig.«
»Was?« Der Chamöleonid schnappte nach Luft. »Na warte, du Bengel, ich werde dich …«
Seine Zunge schnellte aus dem Maul und versuchte, Kieron eine schallende Ohrfeige zu versetzen, was ihm jedoch nicht gelang. Missmutig rollte der Wirtshausbesitzer sie wieder ein. »Was rege ich mich über euch Schwachköpfe noch auf? In wenigen Stunden seid ihr totes Fleisch.«
»Das denke ich nicht«, widersprach Croy.
»Ach nein?«
»Etwas stimmt hier nicht«, erklärte der Panthermann. »Diese Echsenkrieger haben uns aufgelauert. Offenbar kannten sie mein Versteck und haben nur darauf gewartet, dass ich zurückkehre.«
»Oder sie sind dir gefolgt«, gab Jago zu bedenken. »Was ja keine besonderen Schwierigkeiten bereitet«, fügte er ätzend hinzu.
»In beiden Fällen hätten sie uns einfach töten können«, entgegnete Croy, die Bemerkung geflissentlich überhörend, »aber sie haben es nicht getan. Stattdessen haben sie uns hierhergebracht, in den Palast.«
»Und? Du hast doch gehört, dass sie uns aushorchen wollen.«
Der Pantheride schickte dem Chamäleonid einen düsteren Blick. »Das Kontor verhört keine Diebe«, sagte er nur. »Unsere Schuld ist bereits erwiesen, sie steht zweifelsfrei fest. In solchen Fällen flattert dein Fell gewöhnlich schneller im Wind, als du es sauber lecken kannst.«
Kieron war sich nicht sicher, ob ihn das beruhigen sollte. Alles war so schnell gegangen, dass sein Verstand kaum Zeit gefunden hatte, mit der Entwicklung Schritt zu halten.
Im einen Augenblick war er noch ein Sklave gewesen, dann der Komplize eines Diebes – und nun lag er in Ketten und wartete auf seine Bestrafung. Nein, Kieron konnte beim besten Willen nicht behaupten, dass sich die Freiheit für ihn gelohnt hatte. Dennoch empfand er seltsamerweise keine Wut auf Croy, der ihm dies alles eingebrockt hatte. Denn obwohl er ihn ausgenutzt und in Lebensgefahr gebracht hatte, hatte der Pantheride ihn auch etwas gelehrt … Ein Gefühl von Unabhängigkeit und Stolz, wie Kieron es noch nie zuvor in seinem Leben erfahren hatte.
Seit er zurückdenken konnte, war er sich klein und gering vorgekommen. Was war ein Mensch im Vergleich zu einem Animalen? Über welche speziellen Fähigkeiten verfügte er schon? Wo lagen seine Stärken? Er konnte doch letztlich nichts anderes sein als ein Sklave! Folglich hatte Kieron gehorsam das getan, was andere von ihm verlangten, und von dem gelebt, was andere ihm hinwarfen. Dass es auch anders sein konnte, darüber hatte er nie nachgedacht, und als er es schließlich doch getan hatte, hatte ihn die bloße Aussicht darauf in helle Panik versetzt. Doch je länger er das Sklavenband nicht mehr um den Hals spürte, desto lebendiger begann er sich zu fühlen …
Die Sonne war gerade über die Baumkronen gestiegen, als sich von draußen Schritte näherten. Der Türriegel wurde zurückgezogen, und der Alcide steckte sein schnabelbewehrtes Haupt herein, so als wollte er sich vergewissern, dass die Gefangenen noch da waren. Dann verschwand er wieder, und eine andere Gestalt erschien, ein schlanker Canide, der in einen teuren, mit goldenen Borten beschlagenen Mantel gehüllt war. Der dunkelgrüne Samt ließ sein Fell feuerrot erscheinen, die kleinen, gefährlich aussehenden Augen musterten die Gefangenen über die nach vorn gewölbte, sich zur Nase hin zuspitzende Schnauze. Auf seiner Schulter kauerte ein Wesen, das noch eigentümlicher aussah als er selbst, ein kleinwüchsiger Affe mit weißgrauem Fell und großen, schwarz umrandeten Augen, die die Gefangenen durchdringend ansahen.
Zwar war Kieron dem Caniden noch nie zuvor begegnet, aber er war ihm so eindrucksvoll geschildert worden, dass er ihn dennoch sofort erkannte. Dies musste Rigo Novaro sein, der Großmercator von
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