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Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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direkte Antwort blieb sie schuldig. »Ich weiß nur«, gestand sie leise, »dass ich die Vögel insgeheim beneide.«
    »Wie das, Meisterin?«, fragte Kalliope staunend. »Sind wir etwa nicht die überlegenen Kreaturen?«
    »Doch, das sind wir.«
    »Und sind wir den Tieren und Animalen an Geisteskraft nicht um ein Vielfaches überlegen? Vermögen wir die Lüfte nicht ebenso zu durchstreifen wie die Vögel?«
    »Das ist wahr«, räumte Cedara ein, und wie zuvor schloss sie die Augen, um sich wieder ganz auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. »Es ist auch nicht die Fähigkeit des Fliegens, um die ich die Vögel beneide.«
    »Nein? Welche Fähigkeit ist es dann?«
    »Ihr Unfähigkeit, in die Zukunft zu blicken und Unheil kommen zu sehen«, erwiderte Meisterin Cedara leise.

18. Kapitel
    »Nun? Hast du es dir überlegt?«
    Die Zeit in dem unterirdischen, aus Stein gemauerten Gewölbe, dessen einzige Lichtquelle ein schwelendes Kohlenfeuer war, schien stillzustehen. Die Luft war von bitterem Brandgeruch erfüllt. Von Fäulnis. Und vom sauren, ekelerregenden Gestank nackter Furcht.
    Die Augen des Mannes waren geweitet, die bleichen Züge mit den hervorspringenden Wangenknochen hatten einen flehenden Ausdruck angenommen. Sein fleckiges Kerkergewand klebte schweißdurchtränkt an ihm. Die Gelenke seiner Arme und Beine steckten in eisernen Schellen, die mittels zweier Schraubzwingen verschlossen worden waren; dazwischen, auf der hölzernen Folterbank, lag sein zum Zerreißen gespannter Körper.
    »I-ich weiß es nicht«, beteuerte er zum ungezählten Mal. Die Stimme des Mannes, anfangs noch kräftig und voller Überzeugung, war zu einem hohlen Flüstern verblasst. »Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt, Gildemeisterin …«
    Äußerlich unbewegt nahm Harona die Beteuerung des Gefangenen zur Kenntnis. Ob ihr sein Elend naheging, war nicht festzustellen, noch nicht einmal für Prisca, die ihre Meisterin wohl besser kannte als irgendjemand sonst. Obschon sich auch die Schülerin alle Mühe gab, nach außen hin gelassen zu wirken, gelang es ihr nicht ganz. Zu groß war ihre Bestürzung, zu deutlich das Mitgefühl, das sie für den Gefangenen hegte, der vor ihren Augen von einem menschlichen Wesen zu einem jammernden Haufen Elend verkommen war.
    Noch immer wusste sie nicht, weshalb ihre Meisterin gerade ihn ausgewählt hatte. Vielleicht hatte er durch irgendeine Reaktion ihren Unmut erregt. Vielleicht hatte sie das Gefühl, dass er das schwächste Glied der Kette war. Vielleicht war er aber auch nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen …
    Mit einem kaum merklichen Nicken gab Harona dem Folterknecht zu verstehen, dass er seine Arbeit tun sollte. Der Scherge, ein untersetzter Kerl mit haarigen Armen und Beinen, der eine lederne, mit Augenschlitzen versehene Kappe trug, die den oberen Teil seines fleischroten Gesichts bedeckte, bestätigte knurrend und drehte dann erneut am Stellrad. Es knackte hässlich, die mehrfach geflochtenen Seile der Streckvorrichtung spannten sich noch ein Stück weiter – und der Gefangene gab ein Heulen von sich, das Prisca durch Mark und Bein ging. Sie konnte sehen, dass seine hagere, zerbrechlich wirkende Gestalt kaum noch auf der Folterbank auflag, und unwillkürlich fragte sie sich, wie lange seine Knochen, Sehnen und Muskeln der Beanspruchung noch standhalten würden. Die Schmerzen, die er litt, mussten entsetzlich sein.
    »Woher bezog der Narr seine Kenntnisse?«, stellte Harona unbarmherzig die Frage, die sie seit geraumer Zeit immer dann wiederholte, wenn das Heulen des Gefangenen verklungen und in ein leises Wimmern übergegangen war. »Das königliche Gesetz mag mir verbieten, den Narren selbst zu befragen – von den Hofdienern hingegen ist nirgendwo die Rede. Also verrate mir besser, was ich wissen will, ehe es zu spät für dich ist.«
    »I-ich weiß es nicht«, hauchte der Gepeinigte, Tränen in den Augen. »Bitte hört auf, mich zu quälen …«
    »Das werde ich«, versicherte die Gildemeisterin und brachte es fertig, dabei milde zu lächeln. »Sobald du mir verraten hast, was ich zu wissen wünsche.«
    »Ich weiß es nicht«, versicherte der Diener zum ungezählten Mal. »Ich weiß es nicht … Larax … denkt sich … immerzu etwas Neues aus … wie alle Narren.«
    »Natürlich«, räumte Harona ein. »Sie treiben Mummenschanz, jonglieren mit brennenden Fackeln und tanzen auf rohen Eiern – aber sie treiben nicht blasphemischen Frevel! Jemand hat Larax dazu angestiftet, dem König

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