Splitterwelten 01 - Zeichen
keiner von ihnen je bis ins Innerste von Nergal vorgedrungen, sonst wäre er nicht zurückgekehrt. Und um zu sehen, was der Junge beschrieben hat, muss man dort gewesen sein.«
»Inwiefern?«
»Nergals Ursprünge«, gab der Pantheride zur Antwort, »liegen in dunkler Vergangenheit. Niemand weiß, wer diese Welt einst bewohnte, und entsprechend ist auch niemand in der Lage, die Zeichen zu entziffern, die die einstigen Herren dieser Welt hinterlassen haben – jene Zeichen, die Kieron in seinem Traum gesehen hat. Und es gibt auch jene Höhlen, die mit Knochen übersät sind, ich habe sie selbst gesehen.«
»Und?« Jago rollte die halbkugelförmigen Augen. »Was heißt das schon?«
»Was es bedeutet, weiß ich nicht«, entgegnete Croy, der viel zu ergriffen schien, um auf die Sticheleien des Chamäleoniden zu reagieren. »Aber eines ist mir in diesem Augenblick offenbar geworden – dass es kein Zufall ist, der dich nach Nergal führt, junger Kieron.«
»Was soll es denn sonst sein?«, plärrte Jago. »Schicksal? Ein höherer Wille? Katzmann, hat dir niemand gesagt, dass du die Pfoten vom billigen Pilztabak lassen sollst? Ich verticke das Zeug zwar in meinem Lokal, aber …«
»Schicksal«, bestätigte der Pantheride nur, indem er Kieron fest in die Augen blickte – und es klang so endgültig, dass selbst Jago nicht widersprach. »Leg dich jetzt schlafen, Junge, und versuch dich auszuruhen. Bei Tagesanbruch setzen wir unsere Reise fort.«
Kieron schürzte die Lippen. »Wenn es diese Stollen auf Nergal tatsächlich gibt und sie wirklich so aussehen …«
»Ja?«
»… was ist dann mit diesem Un- mit diesem Untier, von dem ich geträumt habe? Existiert es ebenfalls?«
Croy sah ihn lange an. Für einen Moment hatte Kieron das Gefühl, dass sich namenloser Schrecken in den gelbgrünen Raubtieraugen spiegelte, ein Geist aus ferner Vergangenheit.
»Ich fürchte ja«, sagte der Pantheride dann.
17. Kapitel
Die Innenwelten hatte die Volanta hinter sich gelassen und war dabei, sich in immer höhere Gefilde aufzuschwingen. Den Spiralwinden folgend, passierte es das Tor von Ulster, der am weitesten nördlich gelegenen königlichen Bastion, und drang in jene Regionen vor, die noch in vielen geographica als mundi atroces bezeichnet wurden – als wilde Welten.
Am Tor von Ulster, pflegte man zu sagen, endete die Zivilisation. Hier, so hieß es, hatte die Zeit keine Gültigkeit.
Kalliope konnte dies nur bestätigen.
Schon zuvor war es ihr vorgekommen, als würden sich die Tage an Bord der Volanta unendlich in die Länge ziehen. Seit ihre Meisterin ihr jedoch das Stundenglas abgenommen hatte, schien die Zeit förmlich stillzustehen. Nicht so sehr, weil Kalliope sie nicht mehr messen konnte, dafür standen andere Mittel zur Verfügung, sondern weil es ihr vorkam, als wäre ihre letzte Verbindung nach Ethera und ihrem alten Leben gekappt worden.
Kalliope hatte nicht versucht, ihre Meisterin umzustimmen. Nie zuvor hatte sie Cedara so aufgebracht erlebt wie an jenem Tag, und die Furcht, sie erneut in Rage zu versetzen, war zu groß. Erklären konnte Kalliope sich die Reaktion nicht. Gewiss, sie hatte etwas Verbotenes getan, aber Cedaras Wut war weit über die einer Lehrerin hinausgegangen, die eine ungehorsame Schülerin schalt. Hatte es mit der unerwarteten Enthüllung zu tun, dass die alte Audra einst Cedaras Meisterin gewesen war?
Kalliope wusste nicht, was sie von diesem Bekenntnis halten sollte. Nur bei sehr wenigen Gelegenheiten hatte Cedara über die Vergangenheit oder ihre eigene Ausbildung zur Gildeschwester gesprochen, aber Kalliope hatte dies stets auf die ihrer Meisterin eigene Bescheidenheit zurückgeführt, die es ihr verbot, über sich selbst zu sprechen. Dass Audra einst ihre Lehrerin gewesen war, ließ ihr Schweigen in einem anderen Licht erscheinen, denn es legte den Verdacht nahe, dass Cedara sehr viel mehr wusste, als sie ihrer Schülerin sagen wollte.
Dinge, die mit der Vergangenheit zusammenhingen.
Mit Meisterin Audra.
Und mit dem Stundenglas.
Als ein Windstoß das Schiff erfasste und die Flossensegel an den Seiten zum Zerreißen spannte, schlug Kalliope die Kapuze ihres Umhangs hoch. Da Cedara es ihr nach dem Zwischenfall mit dem Stundenglas untersagt hatte, ihre Studien allein in der Kajüte zu betreiben, war sie gezwungen, dies auf dem Achterdeck zu tun, unter Aufsicht ihrer Meisterin und unter den misstrauischen Blicken Kapitän Baramiros und seiner Mannschaft.
Es war schwierig, sich
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