Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Splitterwelten 01 - Zeichen

Splitterwelten 01 - Zeichen

Titel: Splitterwelten 01 - Zeichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
unter diesen Voraussetzungen zu konzentrieren. Oftmals las Kalliope einen Abschnitt von Auroras metasophischen Betrachtungen, ohne auch nur im Ansatz begriffen zu haben, wovon die Rede war; oder ihre Blicke verließen die Zeilen des Buchs und schweiften hinaus in den schmutzig grauen, wolkenverhangenen Himmel, der die Volanta zu allen Seiten umgab, und sie sah den Vögeln zu, die sich majestätisch durch die Lüfte schwangen.
    »Faszinierend, nicht wahr?«, fragte Cedara sie unvermittelt.
    Kalliope war nicht überrascht. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass ihre Meisterin, obschon sie auf dem Sitz der Levitatin thronte und sich scheinbar ganz auf ihre schwere Aufgabe konzentrierte, sehr genau mitbekam, was um sie herum vor sich ging.
    »Was meint Ihr?«
    »Die Vögel«, entgegnete Cedara. Sie hatte die Augen aufgeschlagen und deutete auf einen Schwarm blauer Pfeilkrähen, die das Schiff an Backbord überholten. »Wild und frei vermögen sie sich durch die Lüfte zu schwingen und sind dabei niemandes Herr oder Diener.«
    Kalliope blickte ihre Meisterin prüfend an. Nach allem, was geschehen war, konnte sie nicht anders, als in Cedaras Worten stets eine Prüfung zu sehen, mit der ihr Wissen und ihre Loyalität erprobt werden sollten.
    »Wild und frei mögen die Vögel sein«, bestätigte sie mit Blick auf den Krähenschwarm, der sich bereits im Dunst der Wolken verloren hatte, »dennoch sind auch sie der Ordnung der Schöpfung unterworfen. Das bedeutet, dass sie wie die Tiere und die Animalen den Menschen untergeordnet sind, über denen wiederum die Auserwählten stehen, die Schwestern der Gilde, die ihre Gaben weise und zum Wohle aller einsetzen. So hat es die Urmutter gewollt.«
    »Du weißt den Codex wohl zu zitieren«, anerkannte Cedara. »Doch hast du dich je gefragt, warum dies so ist? Wenn die Urmutter tatsächlich gewollt hätte, dass die Schwestern von Ethera die Einzigen sind, die sich in die Lüfte erheben, warum existieren dann Vögel und anderes fliegendes Getier?«
    »Weil die Schöpfung die Vielfalt liebt«, gab Kalliope zur Antwort, die sich noch immer inmitten eines Prüfungsdiskurses wähnte. »Tiere jedoch vermögen nur dem Ruf der Natur zu folgen, ebenso wie Animalen und Chimären. Die Schwesternschaft hingegen lässt den Geist über die plumpe Materie triumphieren. So steht es geschrieben.«
    »Und du glaubst, deshalb sei die Herrschaft über den Himmel allein der Gilde vorbehalten?«
    »Deshalb«, bekräftigte Kalliope, die ihre Argumentation für schlüssig und durchaus gelungen hielt. »Und weil Vögel oder anderes Getier niemals in der Lage sein könnten, Menschen und Material von einer Welt zur anderen zu tragen und damit Zivilisation und Fortschritt zu ermöglichen – wir hingegen tun genau das und haben die Geschichte des Sanktuarions damit nachhaltiger geprägt als jeder Weltenherr.«
    »Und dafür gebührt uns die Dankbarkeit der Völker?«
    »Nicht Dankbarkeit ist es, die die Menschen uns schulden«, zitierte Kalliope einmal mehr aus dem Codex, »sondern Respekt. Von Animalen und Chimären hingegen erwarten wir Unterwerfung. So will es der Pakt.«
    »Und – wenn es nicht so wäre?«
    »Was … was meint Ihr damit?«, erwiderte Kalliope verunsichert. Verstohlen blickte sie zum Kapitän und den beiden Steuerleuten, aber keiner von beiden schien von ihrer Unterhaltung Notiz zu nehmen.
    »Was, wenn wir uns geirrt hätten? Wenn die Schöpfung etwas anderes gemeint und uns nicht zu den Herrschern der Lüfte gemacht hätte? Was dann, Kind?«
    Kalliope hob die Brauen. Sie konnte beim besten Willen nicht erkennen, wohin dieser Diskurs führen sollte, und hatte Angst, erneut zu versagen. Ermutigt von der persönlichen Anrede, die Cedara zum ersten Mal nach langer Zeit wieder gebraucht hatte, wechselte sie in die Gelehrtensprache.
    »Meisterin, verzeiht Eurer unwissenden Schülerin, aber ich weiß nicht, worauf Ihr hinauswollt. Ist dies eine Prüfung, mit der Ihr meine Ergebenheit auf die Probe stellen wollt? Das braucht Ihr nicht, denn es lag nie in meiner Absicht, Euch zu enttäuschen. Ich bereue von Herzen, dass ich nicht ehrlich zu Euch gewesen bin, und wenn es etwas gibt, das ich tun kann, um Euch meiner ungebrochenen Loyalität zu versichern, dann …« Sie unterbrach sich, als sie in Cedaras Züge blickte, die keinerlei hintergründige Absicht erkennen ließen. »Das … das war keine Prüfung?«, erkundigte sie sich vorsichtig. »Euer Einwand war ernst gemeint?«
    Cedara zögerte, eine

Weitere Kostenlose Bücher