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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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hatten, und stundenlang über alles zu reden, was uns interessierte – in meiner Erinnerung bis heute die faszinierendsten Gespräche meines ganzen Lebens, vor allem natürlich deshalb, weil sie gestohlen waren. Wir fuhren nach Boston, rauf nach Maine, runter nach Westchester, weit in den Norden Vermonts und bis nach Binghamton im Westen. Wir übernachteten in kleinen Motels, aßen in Rasthäusern, tranken in Kneipen, die The Mohawk , The Eagle oder The Adams hießen – dunkle, abgelegene Sandsteinhäuser, wo nur selten etwas von der Außenwelt eindrang, wo wir niemanden kannten und wo uns niemand beachtete: eine große, langhalsige Araberin, die glänzende schwarze Seide trug und französische Zigaretten rauchte, und irgendein Durchschnittstyp in einem Pullover mit rundem Ausschnitt, Baumwollhosen und einer Traktormütze von John Deere, die ich mir zu Beginn meiner Zeit in Berkshire zugelegt hatte. Wir waren Touristen, die aus dem Nirgendwo kamen und nirgendwo hinfuhren.
    Wir unterhielten uns fast nie über literarische Themen. Sie war eine kritische Wissenschaftlerin und hatte, soweit ich das mitbekam, für jede Art von Literatur nur finstere, ironische Verachtung übrig. (Als Witz heckte sie den Plan aus, aus einem der Romane F. Scott Fitzgeralds alle Ich-Pronomina zu entfernen, und als sie in einem Seminar darüber referierte, fanden das alle unsere Kollegen »genial«.) Statt dessen unterhielten wir uns über Belanglosigkeiten – warum ein besonders farbenprächtiger Berghang voller Zuckerahorn sich zu so verschiedenen Zeiten verfärbte und was das mit irgendwelchen Krankheiten zu tun haben könnte; warum amerikanische Landstraßen gerade diesen und jenen Ort miteinander verbanden; wie man mit dem Auto in London zurechtkam (wo ich nie gewesen bin und wo sie studiert hat); wir unterhielten uns über ihren ersten Mann, einen Engländer; meine Frau; eine Karriere als Schauspielerin, die sie aufgab; wie ich in verschiedenen schwierigen Phasen meines Lebens die allgemeine Wehrpflicht einschätzte – nichts, was besonders interessant gewesen wäre, sondern einfach all die Dinge, die sich ergaben und über die wir plaudern konnten, ohne die Zukunft einzubeziehen (in dem Punkt machten wir uns nichts vor). Es diente alles dazu, den Tag erträglich zu machen, ehe wir uns wieder dem Unterrichten zuwenden mußten, etwas, was ich immer mehr verabscheute. Im Laufe der Zeit erfuhr ich eine Menge über sie, obwohl ich sie nie ausfragte, und es war zwischen uns immer klar, daß ich in Wirklichkeit nichts wußte. Es gab andere Menschen in ihrem Leben, das wußte ich, ziemlich viele sogar, Männer und Frauen, Menschen in fremden Ländern – zum Teil vielleicht sogar im Gefängnis –, und es gab andere, die aus Gründen entfremdet waren, über die sie einfach nicht redete. Eine Woche lang fühlte ich mich ungeheuer stark zu ihr hingezogen und hatte die verschiedensten unmöglichen und romantischen Ideen, Dinge, denen ich nie auf den Grund ging, und warf sie dann alle über Bord. Hundertmal sagte ich ihr, daß ich sie liebe, lachend meistens, und so unbesonnen-draufgängerisch, daß wir es beide als puren Blödsinn verstanden, denn sie spottete über fast jede Art der üblichen Zuneigung und behauptete, sie habe kein Interesse, einem Gefühl wie der Liebe auf den Grund zu gehen.
    Sie hatte nur eine, wie ich fand, seltsame Vorliebe, und die galt dem Thema der Selbstlosigkeit, zu dem sie mir gleich am ersten Morgen, als wir zusammen aufwachten, einen langen Vortrag hielt, während sie nackt in meinem sonnigen kleinen Haus herumstand, Zigaretten rauchte und zum Fenster hinaus auf den Tuwoosic starrte, als wäre es der Irrawaddy. Sie sagte, Selbstlosigkeit mache Araber verrückt, denn sie sei immer »verlogen« (ein Wort, das sie mochte). Sie redete sich in Rage, rollte den Kopf von einer Seite auf die andere, brüllte und lachte, während ich nur im Bett saß und sie bewunderte. Ihrer Meinung nach waren es keine religiösen oder wirtschaftlichen Themen, die den Haß auf der Welt schürten; es war die Selbstlosigkeit. Sie erzählte mir an diesem ersten Morgen mit ernster Miene, daß sie mit achtzehn Jahren bereits zwei Phasen der Drogenabhängigkeit hinter sich hatte, eine »weitreichende« Zusammenarbeit mit Terroristen, wobei sie, wie sie durchblicken ließ, auch Menschen getötet hatte; daß sie gekidnappt, vergewaltigt, inhaftiert worden war; daß sie mit einer Reihe finsterer Ismen geflirtet hatte, die alle ihren Verstand

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