Sportreporter
elektrisiert und sie endgültig davon überzeugt hatten, daß sie wußte, weshalb Menschen bestimmte Dinge taten – nur um sich selbst zufriedenzustellen, aus keinem anderen Grund –, und deshalb zöge sie es vor, sich möglichst aus allem herauszuhalten. Sie sagte, sie habe eine Abneigung gegen die Christen unter den Kollegen (im Gegensatz zu den Juden), und zwar nicht wegen der selbstzufriedenen Verkommenheit ihres Akademikerlebens, das sie mit einem höhnischen Lachen quittierte (wenn auch nur, weil sie nicht reich waren), sondern weil die Christen sich für selbstlos hielten und vorgaben, hochherzig und wohlwollend zu sein. Das einzige Mittel gegen die Selbstlosigkeit bestand ihrer Meinung nach in großer Armut oder gewaltigem Reichtum. Und sie wußte, welche der Alternativen ihr lieber war.
Was Selma von mir hielt, ist mir nicht so ganz klar. Ich fand sie jedenfalls schlichtweg umwerfend, halte es aber für möglich, daß sie in mir eine jämmerliche Gestalt sah, obwohl sie mir die Art von Bewunderung entgegenbrachte, die jeder Amerikaner gern auslösen würde, wenn er in ferne, zivilisiertere Länder reist. Ich geriet manchmal in plötzliche Erregungszustände, wurde dann verschlossen und trübsinnig wie ein Geisteskranker oder fing an, bösartige Bemerkungen über Dinge zu machen, von denen ich keine Ahnung hatte – oft, gegen Ende des Semesters, ging das gegen irgendeinen Kollegen, dem ich unterstellte, er habe mich beleidigt, obwohl ich in Wirklichkeit nichts gegen ihn hatte und ihn gewöhnlich nicht einmal kannte. Selma nahm das gelassen hin und sagte, sie habe noch nie jemanden gekannt wie mich; ich sei der clevere, abgebrühte Realist, den man ihr immer als den echten Amerikaner beschrieben habe (mickrige Akademiker blieben da weit zurück), aber ich hätte auch eine nachdenkliche, kompliziert aufrichtige und verletzliche Seite, die die ganze Mischung meines Charakters intellektuell exotisch und brillant mache. Sie sagte, es sei ein positiver Schritt gewesen, das richtige Schreiben aufzugeben und Sportreporter zu werden – eine Tätigkeit, von der sie praktisch nichts wußte, die sie aber als eine Möglichkeit ansah, sich ohne viel Mühe den Lebensunterhalt zu verdienen. Daß ich am Berkshire College war, fand sie lächerlich – genau wie X –, so lächerlich wie ihre eigene Tätigkeit dort. Tatsächlich glaube ich jedoch, daß sie in mir einfach jemanden sah, der ihr ähnlich war: Wir waren beide verrückt und verwirrt und suchten nur nach Möglichkeiten, irgendwie zurechtzukommen. »Du hättest ebensogut ein Moslem werden können«, sagte sie mehr als einmal und reckte die lange, spitze Nase in einer Art, die Anerkennung ausdrücken sollte. »Du hättest auch Sportreporterin werden sollen«, sagte ich. (Ich wußte nicht, was ich damit sagen wollte, aber wir lachten uns beide krank darüber.)
Mit einigem Abstand könnte es so aussehen, als hätten Selma und ich herumgetrödelt und den Zynismus auf die Spitze getrieben. Doch das wäre völlig falsch, denn um wirklich zynisch zu sein (wie ich es damals war, als ich mit all diesen achtzehn Frauen in all den Sportmetropolen dieser Nation Liebesbeziehungen anknüpfte), mußt du dich im Hinblick auf deine Gefühle selbst hinters Licht führen. Und wir wußten genau, was wir taten und was uns zusammenhielt. Keine verlogene Liebe oder Sentimentalität, kein vorgetäuschtes Interesse. Kein Pathos. Nur die Erwartung, die so gut sein kann wie alles andere, einschließlich der Liebe. Sie wußte sehr genau, daß sich in dem Moment, da das Objekt der Erwartung vorrangig wird, der Konflikt auf die Lauer legt wie eine Raubkatze. Und da sie nichts von mir wollte – ich war kein Industrieller und hatte mehr Probleme, als ich brauchen konnte; und da ich von ihr nichts anderes wollte, als sie in meinem Auto oder in meinem Bett zu haben und sie lachen zu sehen und, frei wie ein Vogel, mit ihr durch die wattierte Landschaft Neuenglands zu streifen –, gedieh unsere Beziehung. (Darauf kam ich erst später, denn wir redeten nie darüber.)
Aus dem, was wir erwarteten, könnte natürlich niemand je ein ganzes, auf eigenen Beinen stehendes Leben machen und damit rechnen, daß es von Dauer ist. Eine abendliche Ausfahrt zum Essen in einem abgelegenen Rasthaus, wo du durch eine hügelige Landschaft fährst, vorbei an herbstduftenden Wäldern und schließlich fast ein wenig frierst, bevor du wieder zu Hause bist. Das plötzliche Läuten eines Telefons an einem Abend im
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