Sportreporter
mich herabschaut, umgeben von seinen lachenden Freunden und Fans, ein Sportler, der nach einer erfolgreichen Laufbahn in Bamber – ohne Zweifel war er dort oder in der Umgebung aufgewachsen – zu einigem Wohlstand kam, dann aber ein schlimmes Ende fand. Nicht das Ende, das solche Geschichten gewöhnlich nehmen, und nicht genau das, was man bei einem eisgekühlten Martini vor dem Abendessen gern lesen möchte.
Da ist noch jemand in der Kneipe, wie ich sehe, ein älterer grauhaariger Mann in einem teuer aussehenden silbergrauen Anzug; mit einer jungen Frau in roten Hosen sitzt er in der Ecke beim Fenster. Über ihnen ist ein riesiger düsterer Bärenkopf zu sehen.
Ich schnalze mit der Zunge und richte meinen Blick wieder auf Lous Witwe. »Es ist schön, daß Sie das Lokal in diesem Stil weiterführen.«
»Er hatte in seinem Testament stehen, daß das Zeug an den Wänden bleiben muß, sonst hätte ich da schon lange was anderes gemacht, vor hundert Jahren. Es muß auch eine B’ar bleiben, und ich muß weiterhin bei seiner Getränkefirma einkaufen. Sonst verliere ich alles an seine Itakerverwandtschaft in Teaneck. Drum ignorier ich ihn einfach, vergesse, wer das ist auf den Bildern. Er wollte, daß alle nach seiner Pfeife tanzen.«
»Gehört Ihnen die Getränkefirma noch?«
»Meinem Sohn aus zweiter Ehe, dem ist sie in den Schoß gefallen.« Sie schnieft, raucht, starrt durch die kleine Glasscheibe in der Tür, die ein blasses Licht verbreitet.
»Dann ist es ja nicht so schlimm.«
»Es war vermutlich das Beste, was er je getan hat. Als er schon unter der Erde lag, hat er es getan. Ganz typisch.«
»Frank Bascombe ist übrigens mein Name. Ich bin Sportreporter.« Ich lege meinen Dollar auf die Theke und trinke aus.
»Mrs. Phillips«, sagt sie und gibt mir die Hand. »Mein anderer Mann ist auch tot.« Sie blickt mich gleichgültig an und öffnet ein Päckchen Kräcker, das sie einem auf der Theke stehenden Korb entnommen hat. »Von euch Burschen hab ich seit Jahren keinen mehr gesehen. Früher sind sie die ganze Zeit gekommen, um den Dicken zu interviewen. Aus Philly. Die lachten sich immer halb tot. Er hatte zig Witze auf Lager.« Sie wirft das rote Zellophanbändchen in den sauberen Aschenbecher und bricht den Kräcker in zwei Teile.
»Ich bedaure, ihn nicht gekannt zu haben.« Ich stehe ihr nun gegenüber, lächelnd und mitfühlend, aber bereit zu gehen.
»Und ich bedaure, ihn gekannt zu haben. Dann sind wir also quitt.« Mrs. Phillips drückt ihre Zigarette aus, bevor sie von dem Kräcker abbeißt. Sie wirft einen seltsamen Blick darauf, als überdenke sie alles, was sie über Lou Calcagno gesagt hatte. »Nein, ich nehme es zurück«, sagt sie. »Er war nicht die ganze Zeit so schrecklich.« Und mit einem verdrießlichen Lächeln fügt sie hinzu: »Zitieren Sie mich ruhig. Das ist doch was. Nicht die ganze Zeit.« Sie dreht sich um und geht mit schweren Schritten hinter der Theke auf einen Fernseher zu, der dunkel ist. Die zwei anderen Gäste stehen auf und gehen, und ich bleibe allein mit meinem Lächeln und kann nur noch sagen: »Okay. Mach ich. Danke.«
Als ich draußen auf dem weißen Schotter des Parkplatzes stehe, spüre ich, daß ein neues Wetter – Detroit-Wetter – heraufzieht, obwohl die Sonne scheint. Ein feuchter Wind hat den Bamber-See erreicht, wirbelt Staub auf, verbiegt die Kiefern hinter den am Ufer aufgereihten leeren Wochenendhäusern, rüttelt am Schild der Sportsman’s B’ar . Der ältere Mann und die junge Frau in Hosen steigen in einen roten Cadillac und fahren Richtung Westen, wo die Wattepolster einer Wolkenbank dicht über der Erde hängen. Ich stehe neben meinem Wagen und denke erst einmal daran, daß Lou Calcagno genau hier sein trauriges Ende gefunden hat und daß das die passende Umgebung für solche Dinge ist, ein Ort, der einmal etwas darstellte. Ich denke an die Ballonfahrer vom Vormittag und frage mich, ob sie wohl herunterkommen und alles verankern können, bevor die steife Brise kommt. Und ich bin froh, heute nicht zu Hause zu sein, sondern im Herzen einer Landschaft, die ich nicht kenne, froh, auf eine Welt zu stoßen, die weder meine noch eine von mir erdachte Welt ist. Es gibt Zeiten, da findest du das Leben nicht so toll, aber immer noch besser als alles andere, und du bist dann nicht gerade ekstatisch, aber doch glücklich, überhaupt zu leben.
Der kühle Wind läßt mich das Verdeck schließen. Im nächsten Moment brause ich davon, habe das schäbige Bamber
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