Sportreporter
bald hinter mir, und vor mir mein eigenes Rendezvous auf der Schreckensstrecke.
Vickis Wegbeschreibung erweist sich als perfekt. Geradeaus durch das Küstenstädtchen Barnegat Pines, dann auf einer Zugbrücke über den trüben Seitenarm einer metallisch schimmernden Bucht, im Bogen vorbei an einigen Strandbungalows für wohlhabende Feriengäste und rechts ab auf eine künstliche Halbinsel und eine freundliche gewundene Straße ohne Randsteine, vorbei an neuen, pastellfarbenen Häusern mit Zwischenstockwerken, grünen Rasenflächen, echten Kellern und Garagenbauten. Sherri-Lyn Woods heißt diese Siedlung, und es gibt ähnliche Straßen auf parallel angelegten Halbinseln in der Nähe, doch von einem Wald, auf den der Name anspielt, ist nichts zu sehen. Hinter den meisten Häusern gibt es einen Anlegeplatz, wo irgendein Boot festgemacht ist – ein kastenförmiges Kajütenboot oder ein schnittiges Motorboot mit Außenborder. Alles in allem herrscht hier eine vage Seemannsatmosphäre, obwohl alle Häuser in dieser Straße irgendwie kalifornisch lässig wirken.
Das Haus der Arcenaults im Arctic Spruce Drive 1411 ist den anderen irgendwie ähnlich, doch auf seiner Vorderseite, wo die beiden versetzten Stockwerke hinter einer beigefarbenen Seitenwandung zusammenlaufen, hängt eine fast lebensgroße Figur des Gekreuzigten, die das Haus unverwechselbar macht. Jesus, der in einer vornehmen Vorortgegend mit dem Tod ringt. Blutige Augen. Zerbrechlicher Leib. Die Füße beginnen schon abzusacken und den Geist aufzugeben. Im Gesicht ein Ausdruck furchtbarer Not und Gelassenheit. Die Figur ist in einem helleren Beige gehalten als die Seitenwandung und hat etwas eindeutig Mediterranes.
THE ARCENAULTS steht auf der baumelnden Tafel vor dem Haus, und ich rolle gerade noch rechtzeitig vor dem unfreundlichen Wetter auf die Einfahrt und neben Vickis Dart.
»Lynette mußte da draußen unbedingt ihren ollen Jesus aufhängen«, flüstert Vicki schon im Hauseingang, wo sie mich mit verärgerter Miene empfangen hat. »Ich finde ja, es ist die größte Geschmacklosigkeit auf der ganzen Welt, und dabei bin ich katholisch. Du hast dich übrigens um eine halbe Stunde verspätet.« Sie bietet einen erstaunlichen Anblick in einem pinkfarbenen Jerseykleid, seriösen rosaroten Stöckelschuhen, schicken Strümpfen und hochroten Fingernägeln; die schwarzen Haare hat sie für zu Hause geglättet und in eine schlichtere Frisur gezwungen.
Alle, sagt sie, sind im ganzen Haus verstreut, und so kann ich nur Elvis Presley, einen winzigen weißen Pudel mit einem diamantenen Halsband, kennenlernen, und dann auch Lynette, Vickis Stiefmutter, die eine Kochschürze trägt und mit einem Löffel in der Hand zur Küchentür kommt und »Hal-lo« ruft. Sie ist eine kecke und hübsche kleine zweite Frau mit knallroten Haaren und ausladenden Hüften bis hinunter zu den in Söckchen steckenden Knöcheln. Vicki flüstert mir zu, sie stamme aus Lodi in West Virginia und sei ein eingefleischter Hillbilly, aber ich habe das Gefühl, wir könnten gut miteinander auskommen, wenn Vicki das nur zulassen würde. Sie ist gerade dabei, Fleisch zu braten, und durch das Haus zieht ein warmer und dichter Duft. »Ich hoffe, Sie mögen Ihr Lamm so richtig gut durch , Franky«, sagt Lynette und verschwindet wieder in der Küche. »Wade Arcenault hat’s am liebsten so.«
»Sehr schön. Das ist ganz nach meinem Geschmack«, lüge ich, und in dem Moment wird mir bewußt, daß ich nicht nur zu spät, sondern auch noch mit leeren Händen gekommen bin; ich habe keine Blume dabei, keine Grußkarte, keine Osterleckerei. Vicki ist das bestimmt aufgefallen.
»Tu mir ja genügend Minzgelee auf den Teller.« Vicki verdreht die Augen und sagt dicht an meinem Ohr: »Du magst dein Lamm nicht gut durchgebraten.«
Vicki und ich sitzen auf einer großen lachsroten Couch, mit dem Rücken zu einem Panoramafenster, von wo aus der Blick zum Arctic Spruce Drive geht. Die Vorhänge sind zur Seite gezogen, und das heraufziehende Unwetter taucht das Zimmer in ein gelbes Licht, auch die Bilder der Alten Meister an den Wänden – ein van Gogh, ein Seestück von Constable und der Junge in Blau . Ein blauer Plüschteppich (es sieht so aus, als habe Everett die Hand im Spiel gehabt) bedeckt den Boden. Das Haus hat genau das Flair von Vickis Wohnung, aber auf mich – in meinem jugendlichen Seersucker-Anzug – wirkt es, als wäre ich der Lehrer, der Vicki ein schlechtes Halbjahreszeugnis verpaßt hat und der
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