Sportreporter
da draußen erzählen, wenn er mich nur lassen würde.
»Hm, wo ist Vicki?« Cade scheint plötzlich mißtrauisch und blickt sich im Zimmer um, als könne sie sich hinter einem Stuhl versteckt haben. Gleichzeitig öffnet er seine dicke Faust und zeigt ein silbrig glänzendes, sorgfältig bearbeitetes Stück Metall.
»Sie ist oben, um Krocketschläger zu holen«, sage ich. »Was ist das?«
Cade blickt auf das fünf Zentimeter lange röhrenförmige Stück Metall hinunter und spitzt die Lippen. »Abstandregler«, sagt er und legt eine kleine Pause ein. »Deutsches Produkt. Das Beste, was es gibt. Und das Scheißding taugt nichts.«
»Wozu braucht man das?« Meine Hände stecken fest und tief in den Taschen. Ich bin bereit, mich vorübergehend für »Abstandregler« zu interessieren.
»Fürs Boot«, sagt Cade düster. »Wir sollten diese Dinger hier bei uns produzieren. Dann würden sie wenigstens halten.«
»Da haben Sie sicher recht«, sage ich. »Es ist ein Jammer.«
»Ich meine, was willst du denn machen, wenn du draußen auf dem Meer bist und dieses Ding reißt? So wie hier.« Ein öliger Finger fährt einen Haarriß an der Seite des Abstandreglers nach, eine feine Linie, die ich nie bemerkt hätte. Unterdrückter Ärger läßt Cades dunkle Augen schmaler werden. »Rufst du dann einen Deutschen zu Hilfe? Oder was? Ich will dir sagen, was da los ist, Mann.« Seine Augen ertappen mich, wie ich verständnislos auf den Abstandregler starre, der mir unsinnig und unwichtig erscheint. »Wenn ein Sturm aufkommt, kannst du gleich dein Testament machen.« Cade nickt grimmig und klappt seine große Hand zu wie eine Muschel. Alle seine Gefühle kreisen ziemlich eng um diesen Gedanken – eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied, und er ist fest entschlossen, in seinem Privatleben, wo er die Zügel in der Hand hat, nie dieses schwächste Glied zu sein. Es ist der zentrale Punkt jeder Tragödie, obwohl ich mich nicht sonderlich darüber aufregen kann. Er sieht das alles aus der Sicht des Polizisten, ich aus der des Sportreporters. Für mich lohnt es sich, ein schwaches Glied im Auge zu behalten, und man sollte für alle Fälle Ersatz bereithalten. Aber zunächst einmal kann es interessant sein zu beobachten, wie es sich behauptet und unter schlechten Bedingungen seine Aufgabe zu erfüllen versucht und dabei in den anderen Bereichen, in denen es stark ist, sein Bestes gibt. Ich habe mich selbst schon immer als eine Art menschliches schwaches Glied gesehen, im Kampf gegen eine Übermacht und gegen das Schicksal, und ich bin nicht bereit, mich selbst aufzugeben. Cade hat dagegen das Bedürfnis, uns Missetäter und schwachen Glieder einzusperren, damit wir nie wieder das Licht der Welt sehen und Leute beunruhigen. Es würde mir schwer werden, mit ihm gut befreundet zu sein, das steht für mich fest.
»Waren Sie in letzter Zeit mal in Atlantic City?« fragt Cade argwöhnisch.
»Schon lange nicht mehr.« X und ich haben dort unsere Flitterwochen verbracht; wir wohnten in der alten Hadden Hall , genossen die Strandpromenade und amüsierten uns prächtig. Danach war ich nicht mehr dort, nur noch einmal zu einem Karatewettkampf, wo ich erst am Abend hinflog und zwei Stunden später wieder zurück. Ich glaube kaum, daß das Cade interessiert.
»Das ist jetzt alles im Eimer«, sagt Cade und schüttelt angewidert den Kopf. »Nur Nutten und halbwüchsige Portorikanerinnen, wo man auch hinkommt. Das war früher besser. Und ich hab nicht mal Vorurteile.«
»Ja, es soll sich verändert haben.«
»Verändert?« Cade verzieht das Gesicht, der erste Anflug eines echten Lächelns, seit ich mit ihm rede. »Nagasaki hat sich verändert, stimmt’s?« Cade wendet das Gesicht ruckartig der Küche zu. »Ich hab einen Hunger beisammen, ich könnt den größten Schraubenschlüssel fressen.« Und ein eigenartig glückliches Lächeln huscht über sein tragisches breites Grobiangesicht. »Erst muß ich mich aber waschen, sonst erschießt mich Lynette.« Mit einem anerkennenden Grinsen schüttelt er den Kopf.
Plötzlich ist er strahlender Laune. Was immer ihn geärgert hat, ist nun verschwunden. Atlantic City, schwache Glieder, fehlerhafte Abstandregler, Portorikaner, Verbrecher, die er eines Tages festnehmen wird und mit denen er später auf der langen Fahrt zur Wache Witze austauschen will. Alles verschwunden. Das ist ein Zug seiner Lebensanschauung, mit dem ich nicht gerechnet habe. Er kann vergessen und glücklich sein – eine
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