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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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gewöhnlicher Tag, dem man schutzlos ausgeliefert ist. Doch je normaler der Apriltag, desto besser für mich. Feiertage können zu viele Enttäuschungen mit sich bringen, mit denen ich dann fertig werden muß.
    »Glaub mir, ich hab mit dem Typ noch nie was gehabt.«
    »Okay. Das hört man gern.«
    »Ich rede vielmehr von deiner Exfrau. Sie steckt mit ihm zusammen. Ich weiß es auch nur, weil ich drei-, viermal gesehen habe, wie sie ihn am Ausgang der Notaufnahme abholte. Sie fährt doch den hellbraunen Citation, nicht wahr?«
    »Was?«
    »Weißt du«, sagt Vicki, »wenn er sie nicht geküßt hätte, hätte ich gedacht, es ist ganz harmlos. Aber es ist nicht harmlos. Deshalb hab ich mich auf dem Flughafen so komisch benommen. Ich hab geglaubt, ihr fangt gleich an zu streiten.«
    »Vielleicht war es eine andere Frau. Braune Autos gibt’s viele. General Motors hat Millionen davon gebaut. Es sind hervorragende Autos.«
    »General Motors.« Sie schüttelt den Kopf wie eine Lehrerin. »Aber doch nicht mit deiner Frau drin.«
    Für einen plötzlichen Augenblick setzt mein Denken aus – was noch nicht einmal so ungewöhnlich ist, und es gibt Momente, in denen nichts anderes mehr hilft. Als ich neben Ralphs Bett saß und die Schwester hereinkam und sagte: »Es tut mir leid, Ralph lebt nicht mehr« (tatsächlich war er, als ich seine kleine, geballte Faust berührte, kalt wie eine Auster und war wahrscheinlich schon eine Stunde vorher gestorben), in diesem Augenblick, als ich wußte, daß er tot war, hörte ich auf zu denken. Kein anderer Gedanke ging mir in dieser Situation durch den Kopf. Keine Assoziation oder Erinnerung schloß sich diesem Ereignis an, und auch dem nächsten nicht, wie es auch ausgesehen haben mag. Ich kann mich nicht erinnern. Keine Gedichtzeilen. Keine Epiphanien. Das Zimmer wurde wie ein Bild von einem Zimmer, nur irgendwie grün verwischt und zu düster für diese Morgenstunde, und dann glitt es weg und wurde winzig – als sähe ich es durch das falsche Ende eines Teleskops. Heute weiß ich, daß das als ein Schutzmechanismus des Verstands erklärt wird und daß ich dafür dankbar sein sollte. Aber ich bin mir sicher, daß es sowohl von der Erschöpfung als auch vom Schock des Schmerzes ausgelöst wurde.
    Nichts wird diesmal auf Grund der unerwarteten Neuigkeit kleiner, obschon die Luft um mich her eine gewittrig flaschengrüne Färbung angenommen hat. Der chinesische Bungalow gegenüber behauptet sich in voller Größe. Nichts ist durcheinandergeraten. Ich weiß nur, daß ich über den Arctic Spruce Drive hinweg auf einen weißgestrichenen Kamin starre, aus dem der böige Wind den Rauch zieht und so herunterdrückt, daß er mit dem Rauchfang exakt einen rechten Winkel bildet. Alle Vorhänge sind zu. Das Gras vor dem Haus ist unsagbar grün. Man könnte darauf putten und erwarten, daß der Ball in einer sauberen, geraden Linie zum Loch rollt.
    Ich gebe zu, es überrascht mich: daß das von Vicki angedeutete Bild, wie X draußen vor der Notaufnahme auf dem Vordersitz ihres Citation Fincher Barksdale küßt – wo er doch gerade erst von der Krebsstation kommt und nach Krankheit und Leichen riecht –, daß dieses Bild an Abscheulichkeit alles übertrifft, was ich mir selber ausdenken könnte. Daß die nächste, von ihr noch nicht ausgemalte Szene, wo die beiden klammheimlich irgendwo hinfahren und der Ankunft entgegenfiebern, ziemlich rasch verschwimmt – wozu mein Ekel beiträgt. Es ist aber auch wahr, daß ich gegen ein Gefühl des abgrundtiefen Verrats ankämpfen muß – für mich und für Finchers Frau Dusty, was völlig ungerechtfertigt ist, da es ihr möglicherweise gleichgültig ist und ich sie kaum noch kenne. Und das stößt mich dann wieder auf Finchers schleimige Lüsternheit, was meinen Abscheu weiter steigert.
    Aber ich fasse keinen Gedanken . Und ich erstelle auch keine armselige und erklärende Synthese, um meine Stellungnahme in bezug auf das Gehörte zu formulieren.
    Mit anderen Worten, ich reagiere eigentlich gar nicht, ich erinnere mich nur: Man muß immer auf Überraschungen gefaßt sein .
    »Da hast du wohl recht«, sage ich entgegenkommend und blicke von ihr weg.
    Vicki hat den Kopf nach mir umgedreht, so daß ihr Gesicht über dem gespaltenen Horizont meiner beiden Knie erscheint. Sie wirkt besorgt, zugleich aber bereit, diese Miene gegen eine glücklichere einzutauschen. »Und, was denkst du?«
    »Nichts.« Ich lächle; der Ekel in mir ist verflogen, aber ich fühle mich

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