Sportreporter
Leben wird für Cade besser laufen, wenn er erst mal seine Uniform zuknöpfen und es sich in seinem schwarzweißen Streifenwagen bequem machen kann. Er ist der geborene Vollstrecker, und es ist durchaus möglich, daß er ein gutes Herz hat. Gewiß, es gibt bessere Positionen in der Welt, aber auch schlimmere. Viel schlimmere.
Vicki hält den Blick auf ihren vollen Teller gesenkt, aber einmal blickt sie mich an, ohne den Kopf zu heben, ernüchtert und verbittert, ja angewidert. Es wird Ärger geben, wie ich vermutet habe. Ich habe zuviel geredet, um es ihr recht zu machen, und, schlimmer noch, ich habe die falschen Dinge gesagt. Und was das schlimmste ist, ich habe wie ein betrunkener alter Onkel in einer Stimme drauflosgeplappert, die sie noch nie gehört hat, in einem profanen Norman Vincent Peale-Ton, mit dem ich öffentliche Auftritte bestreite und der sogar mir manchmal übel aufstößt, wenn ich mich auf Tonband höre. Das könnte einen Verrat bedeutet haben, eine Abwertung der Vertrautheit, die Zerstörung einer Illusion, und aus vorhandenen Zweifeln könnte auf diese Weise Abneigung geworden sein. Unsere eigenen Unterhaltungen haben immer einen witzig-witzelnd-ironischen Anstrich und lassen uns unbeschwert von »gewissen Dingen« zu anderen »gewissen Dingen« springen – intime Wärme, Sex und Verzückung, sie sind für uns immer in Reichweite. Doch nun habe ich möglicherweise den Bereich, den sie zu kennen glaubt und in dem sie sich sicher fühlt, verlassen und bin zu einem Gildersleeve geworden, den sie nicht kennt und dem sie instinktiv mißtraut. Es gibt keinen schlimmeren Verrat als den mit der Stimme. Frauen hassen ihn. Manchmal hörte mich X etwas sagen – etwas so Harmloses wie »Wis-sconsin« statt des üblichen »Wis-consin« –, und schon bekam sie mißtrauische Adleraugen und streifte zwanzig Minuten lang grüblerisch und sauer durchs Haus. »Du hast da etwas gesagt, das hat sich gar nicht nach dir angehört«, warf sie mir dann nach einer Weile vor. »Ich weiß nicht mehr, was es war, aber so redest du sonst nicht.« Ich war natürlich um eine Antwort verlegen und konnte ihr nur sagen, wenn ich es so ausgesprochen habe, dann müsse es ja wohl von mir sein.
Ich müßte allerdings auch wissen, daß es keine gute Idee ist, jemanden über die Feiertage nach Hause zu begleiten. Feiertage mit Fremden verlaufen nie wunschgemäß, außer auf entlegenen Bahnhöfen, auf Skihütten in Vermont oder auf den Bahamas.
»Wer trinkt alles Kaffee?« fragt Lynette und strahlt. »Ich hab auch koffeinfreien.« Sie räumt geschickt den Tisch ab.
»Knicks«, murmelt Cade, steht polternd vom Tisch auf und schlurft davon.
»Selber ›nix‹, Cade«, sagt Lynette und geht schwer beladen durch die Küchentür. Sie dreht sich stirnrunzelnd um und wirft einen Blick auf Wade, der mit einem liebenswürdigen, zerstreuten Ausdruck in seinem breiten Gesicht dasitzt, die Hände flach auf der Tischdecke und über den Teamgedanken und die Ereignisse auf einer höheren Ebene nachdenkt. Sie gibt ihm mit ausgeprägten Lippenbewegungen zu verstehen, daß er diesem Cade Arcenault-Früchtchen einiges klarmachen solle, sonst werde die Hölle los sein, und verschwindet dann in der Küche, aus der ein neuer Duft nach starkem Kaffee kommt.
Wade ist wie elektrisiert; mit einem gequälten Lächeln für Vicki und mich steht er vom Kopfende des Tischs auf, und er sieht klein aus, so als fühle er sich in dem locker sitzenden Sportsakko und mit der häßlichen Krawatte nicht wohl – die er fraglos als Gag von der Familie oder von seinen Mautnerkollegen geschenkt bekommen hat. Er hat die Dinge zum Zeichen seiner guten Laune angezogen, aber die ist ihm vorübergehend vergangen. »Ich glaub, ich hab ein paar Dinge zu erledigen«, sagt er unglücklich.
»Sei ja nicht grob zu dem Jungen«, flüstert ihm Vicki drohend zu. Sie hat die Augen wütend zusammengekniffen. »Sein Leben ist auch nicht grad ein Honigschlecken.«
Wade blickt mich mit einem hilflosen Lächeln an, und wieder stelle ich ihn mir vor, wie er in ein leeres Krankenzimmer späht, aus dem er nie mehr herauskommen wird.
»Cade kommt schon zurecht, Schwester«, sagt er lächelnd und macht sich dann auf die Suche nach Cade, schon weit weg in einem seiner quadratischen Räume am Ende eines Gangs, auf einer anderen Ebene.
»Das wird schon werden«, sage ich, nun wieder ruhig, mit sachlicher Stimme, die mich auf den Weg zurück zur Vertrautheit bringen soll. »Es gibt einfach zu
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