Sportreporter
schlecht, irgendwo im Dunkeln zu sitzen und zu beobachten, wie Pendler ins helle Licht von Autoscheinwerfern treten und schwungvoll den Versprechungen des Abends entgegengehen, freigebigen Umarmungen, kühlen, tapezierten Zimmern, Drinks, die für sie gemixt werden, Eis im Kübel, einer Zeitung, einem langen, ungestörten Abend mit Inlandsnachrichten und Schlaf. Ich habe schon bald nach meiner Scheidung angefangen, hierherzukommen, um Leute, die ich kannte, zu beobachten, wenn sie von Gotham nach Hause kamen, um zu beobachten, wie sie abgeholt, umarmt, geküßt, getätschelt wurden, wie ihnen jemand mit dem Gepäck half und dann im Auto mit ihnen wegfuhr. Und mancher wird glauben, ich sei neidisch oder tief betrübt gewesen, oder ich hätte alles nur getan, um mich richtig betrogen zu fühlen. Doch für mich war es eine der hoffnungsvollsten und lohnendsten Beschäftigungen, und wenn dann der Zug fort und der Bahnhof wieder leer und die Taxis in die Stadt zurückgefahren waren, ging ich nach Hause und legte mich fast immer in besserer Stimmung schlafen. An den Tröstungen für andere – auch den ganz kleinen Dingen – Freude zu finden, ist möglich. Und mehr als das: Es wird manchmal verdammt nötig, wenn es wirklich hart auf hart geht. Es erfordert einen so starken und stabilen Charakter, wie ihn ein Auswechselspieler braucht, der bereit ist, sein Bestes zu geben, obwohl er genau weiß, daß er in der Mannschaft nie einen Stammplatz bekommen wird. Oder wie ihn einer braucht, der darauf verzichtet, mit der schönen Frau seines besten Freundes ins Bett zu gehen. Walter Luckett könnte noch am Leben sein, wenn er das gewußt hätte.
Und ich habe recht.
Aus dem knotig-buschigen, stählernen Dunkel entlang der Bahnlinie kommt das Rattern des letzten Zugs aus Philadelphia an diesem Abend, auf dem Rückweg nach New York. Schaffner lehnen sich aus den silbrigen Verbindungsgängen zwischen den Wagen, mustern den Bahnhof, in den sie einfahren, und nehmen die zwei wartenden Autos mit fachmännischer Gleichgültigkeit zur Kenntnis. Auch sie führen ein Leben, das mir nicht gefallen würde, obwohl ich durchaus glauben will, daß es Momente echter Befriedigung mit sich bringt. Ich bin sicher, ich würde meinen Fahrgästen unangemessen viel Aufmerksamkeit schenken, würde herumstehen und mir ihre Geschichten anhören, erfahren, wohin sie reisen, mich mit ihnen über das Bahnfahren im allgemeinen unterhalten, mir hier und da eine Telefonnummer geben lassen und nie rechtzeitig meine Fahrkarten geknipst bekommen und schließlich gefeuert werden – ich wäre in dem Beruf nicht besser als im Lichtbogenschweißen.
Der Zug kommt neben dem Bahnhofsgebäude quietschend zum Stehen. Die Schaffner sind, noch bevor die letzten Wagen aufgelaufen sind, auf dem Bahnsteig und schwenken ihre winzigen Taschenlampen wie Polizisten. An dem einzelnen Taxi leuchtet das orangefarbene Schild auf, und die zwei wartenden Autos bringen im Gleichklang ihren Motor auf Touren.
Aus dem Inneren der gelbbeleuchteten Eisenbahnwagen blicken bleiche, verträumte Gesichter in die österliche Nacht. Wo sind wir jetzt , scheinen sie zu fragen. Wer lebt hier? Ist es ein friedlicher Ort? Oder was? Vom Dösen sind ihre Gesichtszüge gläsern und glatt.
Ich schlendere zum Bahnsteig und unter die Markise, die Hände in den Taschen, trete von einem Fuß auf den anderen, als erwartete ich jemanden – ein Familienmitglied, eine Freundin, einen alten Studienfreund zum ersten Wiedersehen nach vielen Jahren. Die beiden Schaffner streifen mich mit leeren Fischaugen und beginnen dann ein schon länger aufgeschobenes Gespräch unter vier Augen. Aber ich fühle mich dadurch keineswegs ausgeschlossen, denn ich genieße diese Nähe zu Zügen und den Eindruck großer Bedeutung, den sie vermitteln, ihr unnachgiebiges Zischen, die Zielstrebigkeit. Ich habe irgendwo gelesen, es sei aus psychologischer Sicht gut für uns, neben Dingen zu stehen, die größer und mächtiger seien als wir selbst, so daß sie uns (und unsere mickrigen Brüder) vergleichsweise schrumpfen lassen. Das bewirke, sagte der Autor, daß der Geist aus seiner Verankerung im Alltag befreit werde, und es erkläre auch, warum die Einwohner Montanas oder die Sherpas, die in der Nähe einschüchternder Berge leben, nicht viel vom Jammern oder von irritierender Selbstbeobachtung hielten. Er schrieb von der besseren »Nutzung« von Wolkenkratzern, und wenn Sie mich fragen, dann trifft der Bursche den Nagel auf den
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