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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Kopf. Während ich ganz allein neben den belebten Eisenbahnwagen stehe, spüre ich tatsächlich, wie sich meine Verankerung löst, und ich sage es auch hier wieder, vielleicht zum letzten Mal: Es gibt überall Unerklärliches, selbst in einem ordinären, leicht nach Urin riechenden Vorortbahnhof wie diesem hier. Du mußt nur bereit sein, dich darauf einzulassen. Du kannst nie wissen, was auf dich zukommt. Es besteht aber immer die Chance, daß es – ein erstaunlicher Gedanke – etwas sein wird, was du dir wünschst.
    Aus dem Zug steigt eine dralle junge Nonne in der schwärzesten, orthodoxesten Tracht, mit einem schicken Aktenköfferchen und einem Stockschirm. Sie hat strahlende Augen in ihrem lächelnden runden Gesicht und verabschiedet sich mit einem neckischen »Dankeschön und auf Wiedersehen« von den Schaffnern, die lächelnd einen Finger an die Mütze legen, ihr aber auch einen finsteren Blick zuwerfen, als sie ihnen den Rücken gekehrt hat. Sie wird von niemandem abgeholt und stapft fröhlich an mir vorbei, zweifellos auf dem Weg zum Seminar rauf, wo sie mit den Presbyterianern eine kirchliche Angelegenheit zu besprechen hat. Ich lächle ihr zu, um ihr zu versichern, daß auf unseren Straßen keine Gefahren auf sie lauern werden. Keine Möchtegernvergewaltiger oder Abstaubertypen. Sie macht allerdings auch den Eindruck einer Frau, die der Gefahr ins Auge sehen und jedem den Schneid abkaufen kann.
    Als nächste kommen zwei Bürotypen mit gelockerten Krawatten, Handköfferchen und teuren Aktentaschen – Rechtsanwälte mit Sicherheit, die aus Philadelphia oder der Bundeshauptstadt heraufgekommen sind und mit einer der vielen in dieser Gegend angesiedelten Weltzentralen geschäftlich zu tun haben. Beide sind Juden, und beide sehen hundemüde aus, bereit für einen Martini, ein Bad, ein frisch überzogenes Bett und einen fürs Fernsehen gedrehten Film. Sie steigen in das Taxi. Ich höre den einen sagen: »Zum August «, und im Nu rollen sie den Berg hoch, und vom Taxi sind nur noch die Rücklichter zu sehen, rot wie verschmierte Rosen.
    Zwei blonde Frauen trippeln heraus, verabschieden sich mit überschwenglichen, verlogenen Umarmungen und springen in die zwei wartenden Autos – jedes von einem Mann gefahren – und verschwinden. Einen Augenblick lang glaubte ich, die eine von ihnen zu kennen, vielleicht von irgendeiner Cocktailparty in den alten Tagen. Eine stachelige, verheiratete Laura oder Suzannah mit knabenhaften Hüften, roten Seidenhosen und lederartiger Haut: eine Frau ungefähr in meinem Alter, die ich höchstwahrscheinlich fürchterlich angeödet habe und von der ich umgekehrt so angeödet war, daß ich mir keine Mühe gab. Möglicherweise eine Freundin von X, die über mich Bescheid weiß. Die eine der Blondinen traf mich tatsächlich mit einem wilden Blick wie mit einem Peitschenhieb, bevor sie in ihren wartenden Grand Prix stieg und dem Herrn am Steuer einen dicken, gut geübten Kuß ablieferte, aber sie schien mich nicht zu erkennen. Wenn du dich scheiden läßt, hast du in einer Stadt dieser Größe das Problem, daß alle Frauen sofort zu Freundinnen deiner Exfrau werden, ob sie sie nun kennen oder nicht. Und das ist nicht einfach Paranoia. Es wird ständig schwieriger, ein Mann zu sein.
    Die Schaffner gehen langsam zurück auf ihre Plätze in den Verbindungsgängen. Das Blinklicht über dem offenen Bahnübergang blitzt jetzt unentwegt. Die Fahrgäste im Zug schlafen alle wieder. Es wird langsam Zeit, nach Hause zu gehen. Um was dort zu tun?
    Aus dem fernen silberglänzenden Wagen nähert sich ein letzter Ankömmling. Eine kleine Frau mit rehbraunen Haaren, als zerbrechlich, aber irgendwie hübsch einzustufen und nicht aus dieser Stadt. So viel ist in dem Moment klar, da ihre Schuhe – die Art, bei der die Absätze niedriger sind als die Spitzen – den Boden berühren. Sie trägt ein Zeltkleid, obwohl sie gertenschlank ist, hat ein angenehmes, frisch wirkendes Vogelgesicht, und ihre Art, sich rasch in ihrer Umgebung zu orientieren, läßt sie die Nase prüfend in die Luft halten. In der einen Hand trägt sie so etwas wie einen tiefen brasilianischen Weidenkorb als Koffer, auf den sie zusätzlich einen voluminösen gestrickten Pullover geschnallt hat. Und in der anderen hat sie ein dickes Buch, dessen Titel ich als Teddy Roosevelts Leben entziffern kann und zwischen dessen Seiten viele Papierschnitzel stecken.
    Sie schnuppert in der Luft, als sei sie gerade im Pandschab aus dem Zug gestiegen.

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