Sportreporter
warum ich mich auszeichnen muß, obwohl ich ein erwachsener Mann bin. Ich brauche doch niemanden mehr zu beeindrucken.«
»Du bringst mich nur in Verlegenheit. Aber das ist richtig.« Sie nickt und starrt unglücklich geradeaus in die Nacht. »Ich wollte dich eigentlich bitten, zu mir nach Hause zu kommen. Ist das nicht komisch? Ich hab die Kinder bei den Armentis gelassen.«
»Ich würde mitkommen. Eine sehr gute Idee.«
»Nein.« X greift nach hinten und schließt den Sitzgurt über ihrem Rock, der sich wunderschön um die Schenkel legt, und greift mit beiden Händen nach dem Lenkrad. »Dieser kleine Mann da drin kam mir so merkwürdig vor. War er ein Freund von deinem Freund?«
»Ich weiß nicht. Er hat ihn nie erwähnt.« Sie fragt sich wahrscheinlich besorgt, ob Walter und ich nicht ein »intimeres Verhältnis« hatten.
»Vielleicht war es deinem Freund einfach bestimmt, sich umzubringen.« In ihrem Lächeln ist zuviel Ironie, zuviel jedenfalls für Leute, die einander so lange kennen wie wir, die miteinander geschlafen und Kinder in die Welt gesetzt haben, die sich geliebt haben und geschieden worden sind. Ironische Bemerkungen sollten in so einer Situation verboten sein. Sie nerven nur und helfen keinem. Bei ihr kommt da bedauerlicherweise die für den mittleren Westen typische Reaktion auf das komplizierte menschliche Dilemma.
»Walter hat die in ihm steckenden Möglichkeiten nicht verstanden. Er brauchte das nicht zu tun. Im übrigen finde ich, auch dir würde es nicht schaden, anpassungsfähiger zu sein. Wir könnten jetzt einfach nach Hause gehen. Niemand ist dort.«
»Ich glaube nicht.« Sie lächelt immer noch.
»Ich möchte nach wie vor.« Ich grinse durch das Fenster. Ich rieche die Auspuffgase, die unter mir durchströmen, spüre, wie der Wagen hinter seinen sicheren Scheinwerfern vibriert. Die Mulde zwischen den Schalensitzen ist nicht, wie üblich, mit Kleingeld, sondern mit orangefarbenen Golf-Tees gefüllt.
»Du bist kein wirklich schlechter Mann. Es tut mir leid. Ich glaube nicht, daß die Scheidung Wunder bei dir bewirkt hat.« Sie legt den Gang ein, so daß der Wagen einen kleinen Ruck macht, ohne gleich loszufahren. »Es war einfach eine schlechte Idee von mir.«
»Seinen Lieben sollte man eigentlich vertrauen«, sage ich. »Wer kommt danach?«
Aus dem Dämmerlicht des Armaturenbretts heraus sieht sie mich mit einem traurigen und einsamen Lächeln an. »Ich weiß nicht.« Ich sehe ihre Augen in Tränen tanzen.
»Ich weiß es auch nicht. Es wird langsam ein Problem.«
X läßt die Bremse los, und ich trete zurück aufs Gras. Ihr Citation zögert kurz und zischt dann los, die Coolidge Street entlang und in die Nacht. Und ich bleibe in der kühlen Stille zurück, allein mit der Straße und dem MG des toten Walter, ein unbekanntes Mietshaus hinter mir, eine Gegend, in der mich keiner kennt, ein Mann, der kein bestimmtes Ziel vor Augen hat, dem fürs erste die guten Ideen ausgegangen sind – am traurigen Ende eines traurigen Tages, der in einer besseren Welt überhaupt nie Wirklichkeit geworden wäre.
Wo, in der Tat, geht einer wie ich hin?
Wo gehen Sportreporter hin, wenn der Tag in jeder Hinsicht gelaufen ist und die Möglichkeiten so begrenzt sind, daß weder Gut noch Böse bedrohlich erscheinen? (Ich würde liebend gern schlafen gehen, aber diese Möglichkeit steht mir offensichtlich nicht offen.)
Es ist jedoch kein echter leerer Moment und braucht als solcher nicht bekämpft zu werden. Er braucht nicht einmal vermieden oder mit besonderem Wagemut angegangen zu werden. Es ist nicht der Auftakt zu schrecklichem Bedauern. Ein leerer Moment erfordert zum einen echte Erwartungen und zum anderen, daß diese Erwartungen schließlich durch die Kräfte des Schicksals zerschlagen werden. Und ich habe keine solchen Hoffnungen, die zunichte zu machen wären. Im Augenblick stehe ich jenseits aller Hoffnungen, so wie an dem Abend, als X ihre Aussteuertruhe verbrannte, während ich die Sterne beobachtete.
Walter würde sagen, ich sei weder der Seher geworden, noch das Gesehene – so unsichtbar wie Claude Rains im Film, auch wenn ich keine Feinde habe, an denen ich mich rächen wollte, keine Schulden, die zu tilgen wären. Tatsächlich ist die Unsichtbarkeit gar nicht so übel. Wir sollten alle versuchen, sie besser kennenzulernen, sie, anders als Claude Rains, zu unserem Vorteil zu nutzen, denn früher oder später – ob es uns nun gefällt oder nicht – werden wir alle unsichtbar;
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