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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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Als nehme sie eine Fährte auf, dreht sie den Kopf, um zu dem älteren der zwei Schaffner etwas zu sagen, der daraufhin in die Richtung deutet, die die Nonne eingeschlagen hat, den Berg hoch und in die Stadt, direkt an der Stelle vorbei, wo ich neben der Phalanx der Zeitungsboxen an einem Balken lehne und spüre, wie ich im Frühlingsabend langsam schläfrig werde.
    Das Wort »Taxi« fällt, und sie blicken beide zu den leeren Parkplätzen hinüber und schütteln den Kopf. Mein Malibu steht allein auf der anderen Straßenseite, halb unter dem dunklen Roseneibisch hinter dem Theatersaal – ein dunkler, kaum wahrzunehmender Klecks. Ich sehe, wie die zwei wieder in meine Richtung schauen, und ahne, daß da eine Verbindung hergestellt wird. »Vielleicht wird Sie dieser Herr dort in die Stadt mitnehmen«, sagt einer von ihnen. »Die Bewohner dieser Stadt sind anständige Menschen. Nicht mal einer von zehntausend würde Sie ermorden.«
    Ich bin wider Erwarten sichtbar!
    Die Frau dreht sich mit ihrem sondierenden Vogelblick zu mir um. Sie und ich sind in derselben Zeit groß geworden. Wir haben in den sechziger Jahren gelernt, fremden Leuten zu vertrauen, und es ist uns noch nicht aufgegangen, daß das ein Fehler gewesen sein könnte (obwohl wir schon in unseren eigenen Falschheiten einen guten Fingerzeig gehabt hätten).
    Die Hände in den Gesäßtaschen, bin ich jedoch bereit, mich benutzen zu lassen, auszuhelfen, arglos wie der alte Huck. Vielleicht könnte als »Dankeschön« sogar die Einladung zu einem spätabendlichen Cocktail herausspringen, zu einem intime in der dunklen Schankstube des August , gleich neben den todmüden Anwälten. Und danach, wer weiß? Mehr? Weniger?
    Tief in der einen Tasche berühren meine Finger ein Stück Papier, das nichts beweist. Walters armen Brief, auf ein Drittel seiner Größe zusammengefaltet und hinter mein Portemonnaie gesteckt, bis zu diesem Augenblick vergessen. Und eine plötzliche freudlose Wärme überflutet mich, bis mir Ohren und Kopfhaut brennen.
    Das ist Walters Schwester, diese Frau! Weidenkorb. Gesundheitsschuhe. Roosevelts Leben. Sie ist angekommen, um ihre traurige Pflicht zu erfüllen, und hat so viel trockenes und jeden Kummer vertreibendes praktisches Zweckdenken mitgebracht, daß ein Ertrinkender lieber am Meeresboden Hilfe suchen würde. Sie ist eine erbärmliche Montessori-Lehrerin aus Coshocton. Eine Frau mit einer Leseliste und einer Tagesordnung, Freunden im Peace Corps, einem ausführlichen NPR-Programm tief in ihrem brasilianischen Korb. Eine ordentliche, flachbrüstige Pat oder Fran aus Oberlin oder Reed, bei der Schulbehörde in hohem Ansehen. Mein Herz schlägt einen Trommelwirbel für die verschwundene Blondine, in ihrem Grand Prix längst unterwegs zu irgendeinem abgelegenen und verschwiegenen italienischen Lokal, das den Mut hat, an Ostern seine Türen zu öffnen. Ich sehne mich danach, dort zu sein. Das Essen könnte auf meine Rechnung gehen. Die Drinks. Das Trinkgeld. Alles wäre mir lieber als vernünftige Trauer und stundenlanges Klartextreden. (Natürlich bin ich nicht sicher, daß sie’s ist, aber ebensowenig bin ich sicher, daß sie’s nicht ist.) Wo diese Frau ist, fürchte ich, sind Scherereien nicht weit, und ich folge lieber meinem Herzen und meinem Geld, wo mein Mund nichts zu sagen hat.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte die knochendürre Fran/Pat mit ihrer geschäftsmäßigen Stimme, als sie auf mich zukommt. Sie hat bestimmt einen robusten Händedruck und sieht im Tod nur eine der langsamen Kurven des Lebens, der man standhalten muß, Bruder oder nicht Bruder. Ich möchte wirklich nicht wissen, was sie sonst noch alles in diesem Korb hat. »Ich wollte fragen, ob es Ihnen sehr viel ausmachen würde …« Sie spricht mit dem aufgesetzten Akzent einer Internatsschülerin, die Nase in der Luft, so daß sie mich – wenn überhaupt – nur mit dem unteren Drittel ihrer Augen sehen kann.
    Der Zug läßt ein lautes Zischen hören. Eine Glocke gibt ein letztes, schrilles Signal. »Eeeinsteigen«, ruft der Schaffner aus seinem dunklen Verbindungsgang. Der Zug fährt ruckartig an, und im selben Augenblick – das verletzte Knie ist vergessen – bin ich an Bord, plötzlich ein Fahrgast, und weg von allem. »Tut mir leid«, sage ich, als mein Gesicht vorübergleitet, »ich fahre mit der Bahn.«
    Die Frau sieht blinzelnd mit an, wie ich wegfahre, hat den Mund schon zu den nächsten Worten geöffnet, die ich nicht mehr werde hören müssen,

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