Sportreporter
sich im HBO-Programm einen Shakespeare ansieht oder bei einem guten Buch eindöst. Und weshalb ich allein in einem leeren, übelriechenden Bummelzug sitze und einem finsteren Reich entgegenfahre, vor dem ich immer Angst hatte.
Der junge Schaffner mit den Fischaugen kommt mit wiegenden Schritten in meinen Wagen und mustert mich mißtrauisch, während er mein Fahrgeld kassiert und an der Rückenlehne meines Sitzes einen Kontrollabschnitt befestigt. Es gefällt ihm nicht, daß ich meine Fahrkarte im Zug lösen muß oder daß ich vorhin Walters Schwester nicht in die Stadt mitgenommen habe oder daß ich ein Madras-Hemd trage und offenbar glücklich bin und in allem sein Gegenteil, wo doch alles andere in der Welt, so wie er – in seiner glänzenden schwarzen Schaffneruniform – sie kennt, exakt dort ist, wo es hingehört. Er ist noch keine dreißig, schätze ich, und ich gebe ihm mit einem beruhigenden Lächeln zu verstehen, daß ich ein harmloser Kunde bin und daß alles in Ordnung ist. Ich stelle für keine seiner Überzeugungen eine Bedrohung dar; wahrscheinlich teile ich sogar die meisten. Ich sehe jedoch seinem Fischauge an, daß er die Nacht und das, was sie birgt, nicht mag – dieses unbeständige, plündernde, unheilvolle, friedlose Etwas, dem er hier im Innern der trommelnden Röhre seiner beruflichen Pflichten aus dem Weg zu gehen hat. Und da ich unerwartet aus der Nacht gekommen bin, bin ich auch verdächtig. So schnell er kann, steckt er seine Lochzange in die Tasche, überprüft die Kontrollabschnitte an den Sitzen der anderen Fahrgäste und zieht sich in den Barwagen zurück, wo er mit dem schwarzen Kellner ein Gespräch anfängt.
Als ich für meine Fahrkarte bezahlte, stieß ich mit den Fingern wieder an Walters Brief, und unter den Umständen habe ich keine andere Möglichkeit, als ihn zu lesen, und das tu ich nun, beginnend in Rahway, mit Hilfe des kläglichen kleinen Lämpchens über dem Sitz.
Lieber Frankie,
als ich heute aufwachte, war mir vollkommen klar, was ich tun muß. Ich bin mir da absolut sicher. Einen Roman schreiben! Ich weiß nicht, wozu ich ihn schreibe oder wer ihn lesen wird oder ähnliche Dinge, aber die Schreiblust hat mich am Wickel, und wer’s lesen will, kann’s lesen oder auch bleiben lassen. Ich habe mich über alles hinweggesetzt, und das ist ein gutes Gefühl!
Das habe ich geschrieben: »Eddie Grimes wachte am Ostermorgen auf und hörte weit weg in einem vergessenen Vorortbahnhof eine Lokomotive pfeifen. Sein allererster Gedanke an diesem Tag war: ›Du verlierst langsam die Kontrolle, nach und nach.‹« Das schien mir ein verdammt guter Anfang. Eddie Grimes bin ich. Es ist ein Roman über mich, und er wird meine eigenen Vorstellungen und persönlichen Auffassungen und Überzeugungen enthalten. Es ist schwer, sich über die Themen des eigenen Lebens klarzuwerden. Man sollte meinen, das kann jeder. Aber ich finde es sehr, sehr schwer. So ziemlich unmöglich. Bei Deinem Leben tue ich mich da viel leichter, Frank. Ich bin konservativ, leidenschaftlich, einfallsreich und fair – als Anlageberater, wo es prächtig funktioniert! Aber es ist schwer festzuhalten und in die Romanform zu übertragen, das weiß ich jetzt. Ich bin hier auf ein Nebengleis geraten.
Vielleicht könnte ein Abschiedsbrief am Anfang des Romans stehen. Das wäre so etwas wie ein erzählerischer Kinnhaken. Ich weiß, das hat es schon gegeben. Aber was hat es noch nicht gegeben? Für mich war es jedenfalls neu. Ich mache mir darüber keine Gedanken.
Ich war weg und bin wiedergekommen. Die Idee mit dem Abschiedsbrief bringt romanmäßig eigentlich nicht viel Interessantes, Frank. Ich weiß gar nicht, welchem launischem Herrn und Meister ich hier dienen will (haha). Übrigens entschuldige ich mich für diese Flugzeuggeschichte am Telefon. Ich habe da nur versucht, meine Gefühle zu manipulieren, um in die richtige Stimmung fürs Schreiben zu kommen. Hoffentlich bist Du jetzt nicht sauer. Meine Bewunderung für Dich und Deine Arbeit ist nur noch größer geworden. Ich sehe in Dir immer noch meinen besten Freund, auch wenn wir uns gar nicht so gut kennen.
Ich habe heute schon versucht, Yolanda zu erreichen. Erst gar nichts, dann belegt. Dann wieder gar nichts. Ich habe auch mit Warren alles geklärt. Das war eine schöne Geschichte, die ich mir da geleistet habe. Ich gebe zu, ich hätte mit ihm einfach Freundschaft schließen sollen. Hab ich aber nicht. Na und? Oder? Verklagt mich doch. Paß gut auf Dich
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