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Sportreporter

Sportreporter

Titel: Sportreporter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Ford
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die Lichter weg sind, so daß du nicht mehr weiter sehen kannst als bis zu deinem Spiegelbild im schmutzigen Fensterglas, und ich habe urplötzlich das Gefühl, aus dem Raum und in einen gefahrvollen Traum zu stürzen – einen Traum, genau gesagt, der mich nach meiner Scheidung immer quälte (auch wenn diesmal der Anstoß sicher von Walter kommt) und in dem ich neben einer Person im Bett liege, die ich nicht kenne und die ich nicht anfassen kann und darf (es ist, Gott sei Dank, eine Frau), neben der ich aber im Zustand der Angst und Erregung und mit brennenden Schuldgefühlen Stunde um Stunde liegenbleiben muß. Es ist ein fürchterlicher Traum, aber es würde mich nicht wundern, wenn ihn alle Männer zu irgendeinem Zeitpunkt einmal hätten. Oder viele Male. Und die Wahrheit ist, daß ich mich nach sechs Monaten daran gewöhnte und jedesmal schon nach fünf Minuten wieder einschlafen konnte. Allerdings lag ich beim Aufwachen, wenn nicht sogar schon am Boden, zumindest dicht an der Bettkante, verkrampft und mit Gliederschmerzen, als klammerte ich mich an den Rand eines Rettungsboots auf einem riesigen und übellaunigen Meer. Wie an alle Dinge, die schlechten und die guten, gewöhnen wir uns auch an sie, und mit den Jahren gehen sie an uns vorbei.
    In zehn Minuten stehen wir in der Gruft der Penn Station, und ich lasse ihren heißen Tunnel hinter und unter mir und durchquere die helle, obere Eingangshalle, wo mein Traum in der Masse der Gestrandeten und Osterheimkehrer verblaßt, hinaus auf die windige Seventh Avenue und zu den weiten Ausblicken Gothams an einem warmen Osterabend. Es ist jetzt 10 Uhr 15. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Deshalb bereue ich aber nicht, hier zu sein. Der übliche zermürbende Feuersturm – rasende Taxis, knallhelle Lichter und eulenhafte Städterstimmen – hat mir noch nicht so zugesetzt, daß mich die bedrückende Angst vor dem Komplizierten und Unverständlichen schon gepackt hätte, wo dann alles zu wichtig und zu gefährlich wird, als daß es zu ertragen wäre. Hier draußen, an der Kreuzung der Seventh Avenue und der 34. Straße, spüre ich eine ungewohnte Zuversicht, eine auf die Liebe folgende, für den mittleren Westen typische zärtliche Zuneigung zu den Dingen – die stets dämmrige Luft noch hoch und irgendwie hohl, die Straßen voll von wirbelnden Rädern eines hungrigen Verkehrs, der an mir vorbeifließt und rasch verschwindet.
    Umgeben von Menschenmassen, die von einer Chrysanthemen-Ausstellung im Madison Square Garden kommen, blicke ich hinüber auf das Schirmdach und die nächtliche Beleuchtung des alten Hotel Statler und ahne, daß man hier ein paar fröhliche Stunden verbringen und vielleicht sogar die Heiterkeit einer Frau – am richtigen Ort und zur richtigen Zeit – erträglich finden könnte. Vielleicht wäre es einem hier sogar möglich, seine Taten (und sei es nur kurz) für sich selbst sprechen zu lassen – etwas, was hier noch nie möglich schien – und sich tatsächlich eine Weile mit dem unmoralischen Verbotenen abzufinden, ehe es lebenswichtig wurde zu fliehen. Das müssen wohl alle Vorortbewohner empfinden, wenn ihnen die Vororte plötzlich wunderlich und fragwürdig vorkommen: daß die Dinge nicht weiterhin und in alle Ewigkeit zurückgehen können und daß ein neues, lebendiges Zeitalter überfällig ist. Es ist peinlich, wenn man in meinem Alter so weltfremd und furchtsam ist.
    Dennoch. Was soll ich in dieser unsicheren Atempause tun? Wenn ich nicht einfach bereit bin, die Treppe hinunterzuspringen, meine Rückfahrkarte zu kaufen und auf dem ganzen Nachhauseweg zu schlafen, was soll ich dann tun?
    Meine Antwort in dieser Situation, da die Stadt gezähmt und bereit scheint, meinen Bedürfnissen halbwegs entgegenzukommen, beweist nur, wie wenig ich vom komplizierten Leben echter Stadtbewohner verstehe. Ich springe in das erste freie Taxi und verdrücke mich, rauf zur Ecke 56. Straße und Park Avenue, wo ich meinen Beruf als Sportreporter ausübe. Nichts reizt mich jetzt mehr als der Versuch, mit neuen Strategien an Herb heranzukommen und dieses Sinnbild der Trostlosigkeit in etwas Besseres zu verwandeln, selbst wenn das heißt, die eine oder andere Tatsache zu verdrehen.
    In der zweiundzwanzigsten Etage surren die fluoreszierenden Lichter in den aneinandergereihten gläsernen Bürozellen. Als ich aus dem Aufzug komme, höre ich aus den hinteren Büros laute, streitbare Stimmen in einer heftigen Debatte. »Ja doch … Jaa doch!« Dann: »Nee,

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