Sportreporter
Redigieren mehr erforderlich war. Falls ich je noch einmal eine Short Story schreibe, werde ich genau diese Technik anwenden; so, wie ich beispielsweise über einen amerikanischen Eishockeyspieler schreiben würde, der säuft und auf die schiefe Bahn gerät, sich bei den Anonymen Alkoholikern wieder fängt, vierzig Tore erzielt und als Mannschaftskapitän und Gewissen der Nordiques aus Quebec den Stanley Cup gewinnt.
Im Fall Herb Wallaghers schreibe ich: Möglichkeiten beschränkt .
Ich denke kurz an meine erste Fahrt nach New York. Das war 1967. Im Herbst. Mindy Levinson und ich fuhren im Auto eines Bundesbruders von Ann Arbor aus die ganze Nacht hindurch, damit ich rechtzeitig zu einem Aufnahmegespräch der juristischen Fakultät der New York University kommen würde. (Nach meinem Ausscheiden aus dem Marine-Corps wollte ich eine kurze Zeit lang unbedingt Rechtsanwalt werden und für das FBI arbeiten.) Mindy und ich übernachteten – als Mann und Frau – im alten Albert Pick in der Lexington Avenue, fuhren mit der U-Bahn nach Greenwich Village, kauften Eheringe aus Messing, damit alles legal aussah, und verbrachten unsere übrige Zeit im Bett, wo wir ausgiebig aneinander herumfummelten und Sportsendungen im Fernsehen ansahen. Früh am nächsten Morgen fuhr ich mit dem Taxi zum Washington Square und zu dem Aufnahmegespräch. Es war eine freundliche Unterhaltung mit einem beflissen wirkenden jungen Mann, der, da bin ich mir heute sicher, nur ein älterer Student war, der sich etwas hinzuverdiente, der mich damals aber als ein junges und exzentrisches Genie beeindruckte. Ich konnte ihm auf keine einzige seiner Fragen eine Antwort geben, ja, diese Dinge waren mir so fremd, daß ich nicht einmal die Fragen hätte stellen können. Später an diesem Tag verließen Mindy und ich das Hotel, fuhren über die George Washington Bridge, dann auf die Mautstraße und zurück nach Ann Arbor, und ich hatte das Gefühl, daß ich mit meinen Antworten auf die Fragen, die wichtig gewesen wären , mir aber nicht einmal gestellt worden waren, überdurchschnittlich gut abgeschnitten hätte und daß ich eines Tages die Juristenzeitung herausgeben würde.
Natürlich wurde ich weder von der NYU noch von einer der anderen juristischen Fakultäten, bei denen ich mich bewarb, zum Studium zugelassen. Und heute kann ich nicht über den Washington Square gehen, ohne mit einem gewissen Bedauern wehmütig an damals zu denken. Was wäre aus mir geworden, denke ich dann gewöhnlich. Was wäre in meinem Leben anders? Und mein Gefühl sagt mir – angesichts der unsteten, unvorhersehbaren Natur der Dinge –, daß alles möglicherweise genauso gekommen wäre, wie es dann gekommen ist, von einigen Kleinigkeiten vielleicht abgesehen: Scheidung, Kinder. Berufliche Veränderungen. Leben in einer Stadt wie Haddam. Darin liegt etwas Tröstliches, aber auch – das sei nicht verschwiegen – etwas Unheimliches.
Ich kehre zu Herb zurück und schreibe: Herb Wallagher spielt nicht mehr mit .
Ich überlege mir, wen ich um diese Zeit noch anrufen könnte. 10 Uhr 45 am Abend. Ich könnte noch einmal in Providence anrufen. Möglicherweise X, obwohl mich die Aktivitäten in ihrem Haus vermuten ließen, daß sie bereits unterwegs ist, zu den Poconos oder sonstwohin. Ich könnte Mindy Levinson in New Hampshire anrufen. Ich könnte Vicki bei ihren Eltern anrufen. Ich könnte meine Schwiegermutter in Mission Viejo anrufen, wo es erst Viertel vor acht ist, die Sonne noch kaum hinter Catalina auf einem österlichen Ozean. Ich könnte Clarice Wallagher anrufen, da es möglich ist, daß sie abends lange aufbleibt und sich fragt, was aus ihrem Leben geworden ist. Alle diese Leute würden mit mir reden, da bin ich mir absolut sicher. Aber ich bin mir auch beinahe sicher, daß sie es alle nicht besonders gern tun würden.
Ich komme erneut auf Herb zurück: Wie Herb Wallagher die Dinge sieht, starrt einem das wahre Leben jeden Tag ins Gesicht. Man muß ihm nicht nachlaufen.
»Hallo«, sagt hinter mir eine Stimme, fast so flott wie ein Seemann.
Ich drehe mich um und sehe in dem rechteckigen Rahmen aus Aluminium ein Gesicht, das selbst einen Ertrinkenden retten würde. Ein strahlendes, selbstsicheres Lächeln. Honigfarbene Haargirlanden, an der Seite zu je zwei nach hinten laufenden Zöpfen geflochten, eine komplizierte Privatschulfrisur. Die Haut von der Reinheit einer Tulpe. Lange Finger. Hellblonder Flaum auf dem Unterarm, auf dem sie gerade mit der offenen Hand ein
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