Sportreporter
Leben von Sportlern geht, das du glaubst, kennen zu müssen – lassen sich nicht vorhersehen.
Ein größeres Schweigen macht sich breit, nachdem Herb mir nun gesagt hat, wie das ist, wenn man seine Beine nicht mehr bewegen kann. Es ist kein leerer Moment, jedenfalls nicht für mich, und ich bin nicht entmutigt. Ich möchte immer noch glauben, daß hier eine Geschichte drinsteckt. Vielleicht wird Herb, wenn er von seinen Medikamenten weg ist, endlich wieder zur Vernunft kommen und mit einigen unerwarteten und interessanten Ideen aufwarten und am Ende reden wie ein Buch. So etwas passiert jeden Tag.
»Vermissen Sie eigentlich das Footballspielen, Herb?« sage ich mit einem erwartungsvollen Lächeln.
»Was?« Herb wird aus irgendwelchen Träumereien gerissen, zu denen der spiegelglatte See ihn kurz verführt hat. Er blickt mich an, als habe er mich noch nie gesehen. Ich höre Lastwagen über die Fernstraße nach Lansing donnern. Der Wind ist mittlerweile zurückgekommen, und von dem schwarzen Wasser her wird es nun immer kühler.
»Vermissen Sie den Sport?«
Herb starrt mich vorwurfsvoll an. »Sie sind ein Arschloch, Frank, nur damit Sie’s wissen.«
»Warum sagen Sie so was?«
»Sie kennen mich noch lange nicht.«
»Genau deshalb bin ich ja hier, Herb. Ich möchte Sie kennenlernen und eine verdammt gute Geschichte über Sie schreiben. Sie so darstellen, wie Sie sind. Schon das allein ist, glaube ich, ziemlich interessant und komplex.«
»Sie sind einfach ein Arschloch, Frank, klarer Fall, und etwas Anregendes, was andere aufbaut, ist bei mir schon gar nicht zu holen. Das hab ich alles hinter mir gelassen. Ich brauche für keinen was zu tun, auch für Sie nicht. Gerade für Sie nicht, Arschloch. Ich bin kein Footballspieler mehr.« Herb zupft sich den einen Fetzen Toilettenpapier von der Wange und sieht nach, ob Blut dran ist.
»Das mit der Anregung für andere will ich gern fallenlassen, Herb. Es war für mich nur ein möglicher Aufhänger.«
»Wollen Sie den Traum hören, den ich immer und immer wieder habe?« Herb rollt das Papier zwischen den Fingern hin und her und fährt dann ans Ende des Landungsstegs. Ich bleibe auf dem Geländer sitzen und sehe seinen Rücken vor mir. Herbs knochige Schultern sind wie Flügel, sein Nacken dünn und faltig, sein Schädel gelblich und mit ersten Ansätzen einer Glatze. Ich weiß nicht, ob er weiß, wo ich bin, oder auch nur, wo er ist.
»Ich würde mir gern einen Traum anhören«, sage ich.
Herb starrt auf den See hinaus, als enthalte er all seine erkalteten Hoffnungen. »Ich träume immer von drei alten Frauen in einem Auto, das auf einer dunklen Straße liegengeblieben ist. Zwei von ihnen bringen ihre Großmutter, die alt ist, sehr alt, zurück ins Pflegeheim. Es ist irgendwo auf dem flachen Land, sagen wir in New York oder Pennsylvania. Ich komme in meinem Jeep angefahren – ich hatte mal einen Jeep –, halte an und frage sie, ob ich helfen kann. Und sie sagen ja. Es ist lange niemand vorbeigekommen. Und ich sehe ihnen an, daß sie Angst vor mir haben. Eine Frau holt ihr Geld heraus und will mich bezahlen, noch bevor ich angefangen habe. Und sie haben einen Plattfuß. Ich richte die Scheinwerfer meines Jeeps auf ihren Wagen, und ich sehe diese ängstliche alte Großmutter, die sich tief in den Beifahrersitz duckt. Ihr Hals ist dünn und lappig wie der eines Huhns. Die zwei anderen Frauen stehen neben mir, während ich das Rad wechsle. Und dabei kommt mir der Gedanke, ich könnte alle drei umbringen. Sie einfach mit den Händen erwürgen und davonfahren, denn niemand würde je wissen, wer es getan hat; schließlich war ich nie ein Killer, und kein Mensch wüßte, daß ich dort war. Aber in dem Moment drehe ich mich um, und ich sehe diese Rehe, die mich aus dem Wald heraus anstarren. Diese gelben Augen. Und das ist es auch schon. Ich wache auf.« Herb schwenkt seinen Rollstuhl herum und sieht mich an. »Ist das ’n Traum oder nicht? Was halten Sie davon, Frank? Sie haben übrigens wieder einen Heiligenschein. Er hat sie wieder eingeholt. Sie sehen idiotisch aus.« Herb bricht plötzlich in Gelächter aus, sein ganzer Körper bebt, und der Mund ist weit aufgerissen. Herb, das habe ich jetzt begriffen, ist total übergeschnappt, und ich wünsche mir nur noch, möglichst weit von ihm wegzukommen. Interview hin, Interview her. Ob anregend oder auch nicht. Einen Verrückten zu interviewen ist für jeden, der nicht selber verrückt ist, pure Zeitverschwendung. Und
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