Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
Sprachentwicklung bei zweijährigen Late Talkers ist bisher nicht möglich. Für die Praxis ist es jedoch entscheidend zu wissen, welche zweijährigen Late Talkers mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Spracherwerbsstörung ausbilden und welche nicht. Dies ist umso bedeutungsvoller, als aus der Forschung bekannt ist, dass mit einer günstigen weiteren Entwicklung zu rechnen ist, wenn sich eine Spracherwerbsstörung bis Ende Kindergarten zurückbildet (Stothard et al. 1998, Beitchman & Brownlie 2010). Besteht sie hingegen bei Schuleintritt immer noch, ist von einem Persistieren der Spracherwerbsstörung während der Schulzeit auszugehen. Die Sprachstörung wirkt sich dann negativ auf die Schullaufbahn und die weitere Entwicklung des Kindes aus. Nicht nur die mündliche Sprache ist durch die Störung beeinträchtigt, sondern oftmals auch der Erwerb der schriftlichen Sprache. Zugleich ist die soziale, emotionale sowie kognitive Entwicklung der betroffenen Kinder gefährdet. Erziehungs-, Sozialisations- und Entwicklungsprobleme treten bei Kindern mit Spracherwerbsstörungen gehäuft auf.
Es ist daher entscheidend, dass Late Talkers, die sich in Richtung Spracherwerbsstörung entwickeln, bereits im Alter von zwei Jahren erfasst werden können. Gelingt es betroffene kleine Kinder im Spracherwerb erfolgreich zuunterstützen, dann trägt dies zu ihrer positiven Entwicklung bei. Für eine frühe Erfassung von Late Talkers mit hohem Risiko für eine Spracherwerbsstörung spricht ferner die bessere Wirksamkeit der Sprachtherapie bei jüngeren Kindern. Dies konnte Schery (1985) belegen. In die gleiche Richtung weisen die Therapiestudie von Schlesiger (2009) und die Studie von Buschmann (2009) zur Elternanleitung bei Late Talkers. Schlesiger konnte zeigen, dass der Schweregrad von Spracherwerbsstörungen bei zweijährigen Late Talkers durch Sprachtherapie statistisch signifikant vermindert werden kann. Die Studie von Buschmann (2009) zur Wirksamkeit der Heidelberger Elternanleitung liefert ebenfalls Evidenz dafür, dass eine gezielte Elternanleitung erfolgreich ist. Buschmann konnte bei zweijährigen Late Talkers mit expressiven Verzögerungen belegen, dass sich durch die Elternanleitung die sprachlichen Fähigkeiten signifikant erhöhten. Auch Cable und Domsch (2011) bestätigen in ihrer systematischen Übersicht, dass Frühinterventionen bei Late Talkers zwischen zwei und drei Jahren wirksam sind.
Die erwähnten Studienergebnisse erlauben die Aussage, dass es notwendig ist, Late Talkers mit Spracherwerbsstörungen schon im Alter von zwei Jahren zu erfassen und gezielt zu unterstützen. Erfolgt eine Intervention bereits mit zwei Jahren und nicht erst mit drei Jahren oder später, kann der Schweregrad der Spracherwerbsstörung vermindert werden. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Sprachstörung eines Kindes bis Schuleintritt zurückbildet. Auf diese Weise erhöhen sich die Chancen der betroffenen Late Talkers erheblich, eine bessere sprachliche, soziale und emotionale Entwicklung zu durchlaufen.
Nachfolgend wird die in Zürich durchgeführte Late Talker-Studie beschrieben.
Late Talker-Studie
In der Längsschnittstudie wurde erstmals eine größere Gruppe von Schweizerdeutsch sprechenden Late Talkers und Referenzkindern im dritten Lebensjahr zu fünf Messzeitpunkten untersucht. Zielsetzung der Studie war es, Prädiktoren für den weiteren Verlauf der Sprachentwicklung von zweijährigen Late Talkers zu finden. Die Studie wurde von der Abteilung Logopädie-Pädoaudiologie der Universitäts-Kinderkliniken Zürich in Zusammenarbeit mit der Abteilung Entwicklungspädiatrie realisiert.
Für das Forschungsprojekt wurde eine Stichprobe bestehend aus 56 Late Talkers und 30 Referenzkindern aufgebaut. Es erschien sinnvoll und ökonomisch, die Kinder direkt bei den praktizierenden Kinderärzten in Anbindung an die Zweijahres-Vorsorgeuntersuchung zu rekrutieren. Die Einschlusskriterien für die Late Talkers waren:
Tabelle 2: Einschlusskriterien Late Talker-Studie
Bei den zweijährigen Referenzkindern mussten im Elternfragebogen alle Werte im Normbereich liegen (Wortschatz, Morphologie und Syntax), ansonsten galten dieselben Einschlusskriterien wie bei den Late Talkers.
Kinder, welche die Einschlusskriterien erfüllten, wurden innerhalb von drei Wochen zu einer ersten umfassenden Sprachabklärung eingeladen. Zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung im Alter von 2;0 Jahren produzierten die Late Talkers im Mittel 20 Wörter und
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