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Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Titel: Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Schneeweiß , Theodor Hellbruegge
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Williams-Beuren-Syndrom im Vorschulalter deutlich verlangsamt, oft aufbauend auf einer stark verzögert verlaufenden psychomotorischen Entwicklung. Interessanterweise nehmen die sprachlichen Kompetenzen dann aber rasant zu. Viele Kinder weiten im Altersbereich zwischen 6 und 10 Jahren den Wortschatz, ihre grammatikalischen Kompetenzen und ihre sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten stark aus (MacDonald & Roy 1988). Da die kognitive Entwicklung parallel nur langsame Fortschritte macht, wurde dies immer wieder als ein Beleg für die Modularität der Sprachentwicklung angesehen, also für den Aufbau eines eigenständigen Sprachregelsystems unabhängig von spezifischen kognitiven Prozessen (Bellugi et al. 1988, 2000).
    Dabei werden Dissoziationen sowohl innerhalb der nichtsprachlichen kognitiven Fähigkeiten als auch innerhalb der sprachlichen Kompetenzen beschrieben. Gleichzeitig zeigt sich eine starke Diskrepanz zwischen den allgemein kognitiven Fähigkeiten und den sprachlichen Kompetenzen. Wie es einer allgemeinen kognitiven Retardierung entspricht, finden sich bei vielen Kindern mit Williams-Beuren-Syndrom deutliche Einschränkungen in den Problemlösestrategien in der visuell-räumlichen Planung und beim mathematischen Denken. Dies steht aber in Diskrepanz zu weitaus differenzierteren sprachlichen Wissensfunktionen (Karmiloff-Smith et al. 1997, 2000, Landau et al. 2006).
    Wir haben im klinischen Rahmen einige Fälle von Kindern mit Williams-Beuren-Syndrom bis zum beginnenden Erwachsenenalter verfolgt und dabei ab einem Alter von acht Jahren wiederkehrend in verschiedenen Intelligenzverfahren die deutlichen Diskrepanzen zwischen Handlungsintelligenz und sprachlicher Intelligenz dokumentiert. Diese starken Diskrepanzen zwischen den sprachlichen Kompetenzen und spezifischen kognitiven Leistungen erschweren die Entscheidungen über die schulische Integration, aber auch die soziale Integration unter gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig lassen sich bei der Entwicklungsbeobachtung außerhalb der standardisiertenTestverfahren sowohl auf der sprachlichen als auch auf der kognitiven Entwicklungsebene qualitative Abweichungen in Teilkompetenzen erkennen.
    Interessant ist dabei auch, dass Kinder und Jugendliche in Aufgaben zur sozialen Kognition vergleichsweise gut abschneiden. Aufgaben zum Wissen über die Theory of Mind, die also die Fähigkeit prüfen, sich in die Perspektive einer anderen Person zu versetzen, werden von Jugendlichen relativ gut bewältigt, wiederum in deutlicher Diskrepanz zu ihren kognitiven Leistungen in der visuell-räumlichen Planung und insgesamt der nonverbalen Intelligenz (Laws & Bishop 2004).
    Die Forschung der letzten zwanzig Jahre zeigt faszinierende Einsichten in die sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen mit Williams-Beuren-Syndrom. Die ursprüngliche Hoffnung, mit dem atypischen Entwicklungsverlauf dieser Kinder einen Beleg für die Modularität des sprachlichen Systems zu erhalten, hat sich aber nicht erfüllt.
    »Bei den meisten Kindern mit Williams-Syndrom liegt in der Sprache eine relative Stärke und im visuell-räumlichen konstruktiven Denken eine eindeutige Schwäche. Doch ist dieses Muster nicht gleichbedeutend mit einer ›intakten‹ Sprache oder der Unabhängigkeit der Sprache von anderen Aspekten der Kognition. Es ist selten ein Individuum mit Williams-Syndrom zu finden, dessen sprachliche Kompetenzen den Erwartungen für sein chronologisches Alter entsprechen (…) die meisten Kinder mit Williams-Syndrom weisen leichte Intelligenzminderungen auf und ihre grammatikalischen Kompetenzen sind typisch für ihr kognitives Fähigkeitsniveau« (Mervis & Beccera 2007, S. 13).
    Trotz allem hat die Forschung zum Entwicklungsverlauf des Williams-Beuren-Syndroms neue Einsichten über das Zusammenwirken von sprachlichen und kognitiven Prozessen geliefert.
Wie hängen Sprache und kognitive Entwicklung zusammen – ein Resümee
    Sprachentwicklung und kognitive Entwicklung zeigen keine allgemeine und durchgängige Beziehung zueinander. Die allgemeinen Thesen, die eine Priorität der kognitiven Entwicklung gegenüber der Sprache (Piaget) oder eine Prioritätder Sprachentwicklung gegenüber dem Denken (Sapir-Whorf) vertreten, werden heute kaum mehr vertreten. Es gibt eine Vielzahl von plausiblen Verknüpfungen zwischen umschriebenen Bereichen der sprachlichen und kognitiven Entwicklung. Dabei können die wechselseitigen Einflüsse abhängig vom

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