Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
(s. Schakib-Ekbatan & Schöler 1995a, 1995b; s. auch Schöler 1994).
Ein »auditives Nadelöhr«: Das phonologische Arbeitsgedächtnis als Bedingungsfaktor
Im Laufe der Zeit wurden viele Annahmen über die Ursachen für eine USES/ SSES postuliert (s. dazu Fromm, Schöler & Scherer 1998; Kany & Schöler, i. Dr. b). Sicher scheint heute, dass hereditäre Faktoren eine bedeutsame Rolle spielen, alleine die Geschlechtsdifferenzen sowie verschiedene Zwillingsstudien sprechen eindeutig für genetische Aberrationen (SLI Consortium 2002, 2004; Stamm, Schöler & Weuffen 2002; Tomblin & Buckwalter 1998). Aufgrund von Verhaltensdaten mehren sich darüber hinaus die Befunde, dass eine Funktionsstörung im phonologischen Arbeitsgedächtnis (
phonological loop
nach Baddeley 2000) eine Schlüsselrolle bei einer USES/SSES spielen könnte.
Im phonologischen Arbeitsgedächtnis werden die auditiven Informationen kurzzeitig gehalten – ein Nadelöhr von ca. zwei Sekunden Dauer (Hasselhorn & Werner 2000; s. auch Kany & Schöler, i. Dr. b). Es besteht aus zwei Subsystemen, einem sogenannten phonetischen Speicher und einem subvokalen Wiederholungsprozess
(rehearsal).
Mehrere Möglichkeiten einer Prozess- oder Strukturschwäche werden diskutiert (s. u. a. Gathercole & Baddeley 1990): So kann die Kapazität des phonetischen Speichers reduziert (Schöler, Roos & Fromm 2003; Spohn, Spohn & Schöler 1998), die Geschwindigkeit des Wiederholungsprozessesoder die Verarbeitungspräzision bei der Erkennung von Lauten und Lautdifferenzen gemindert sein (Hasselhorn & Körner 1997; s. auch die Diskussion um Erhöhungen der Ordnungsschwelle, z. B. Kegel 2001). Indikatoren für die Funktionstüchtigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses sind z. B. Aufgaben zum unmittelbaren Nachsprechen von Sätzen, Wörtern, Silben und Zahlen (s. dazu das neue Diagnostikum AGBT 5 – 12; Hasselhorn et al. 2012).
Zusammenfassend
ist festzuhalten, dass bei allen Aufgaben, mit denen die Funktionstüchtigkeit des phonologischen Arbeitsgedächtnisses geprüft wird, Kinder mit einer USES/SSES in nahezu allen Studien schwächere Leistungen zeigen. Im Vergleich zur Annahme angeborener universalgrammatischer Module und deren möglicher Störung, mit denen lediglich auf einer Beschreibungsebene operiert wird, scheint die Suche nach Bedingungsfaktoren für eine USES/SSES in diesem Teilsystem der Informationsverarbeitung vielversprechender (Schöler, Fromm & Kany 1998).
Als Fazit: Einige Thesen zur Diagnostik und Therapie
Die in Forschung und Medien verbreiteten Zahlen über Sprachentwicklungsstörungen zeigen, dass die Kriterien für die Diagnose einer Sprachentwicklungsstörung offensichtlich differieren und eine Vereinheitlichung daher dringend geboten scheint. Die neuen interdisziplinären Leitlinien für die Diagnostik der USES bzw. SSES in Anlehnung an die WHO-Definition der umschriebenen Spracherwerbsstörung sind hierzu ein notwendiger Schritt (de Langen-Müller et al. 2011).
Die diagnostischen Instrumente, die für die Diagnose einer Sprachentwicklungsstörung eingesetzt werden, sind ebenso offensichtlich sehr verschieden und unterschiedlich tauglich. Auch hier sollte vermehrt eine Evaluation der Verfahren erfolgen und offen kommuniziert werden, welche tauglich und welche untauglich sind. In der neuen diagnostischen Leitlinie wurde eine solche Bewertung nur äußerst zaghaft begonnen. Anzumerken ist unbedingt, dass hier nicht ein Methodenmonismus propagiert wird, denn eine Individualdiagnose kann nicht allein aufgrund eines einzigen Instrumentes gestellt werden. Eine Diagnose ist immer zu individualisieren, sie ist der Abschlusseines diagnostischen
Prozesses
, in dem möglichst viele verschiedene Informationen wie bei einer Problemlösung zusammengeführt werden. Wie bei einer Intervention immer eine individuelle Anpassung selbstverständlich ist (zwar werden unterschiedliche Rahmensetzungen bestehen, wie z. B. eine Sprachtherapie nach einem universalgrammatischen Ansatz oder eine Sprachtherapie nach einem verhaltensanalytischen Ansatz), so sollte eine Individualisierung auch bei einer Diagnose selbstverständlich sein. Wichtig bleibt aber, dass eine Diagnose
intersubjektiv
vermittelbar ist. So kann die leider zu oft zu hörende Forderung, auf normorientierte Verfahren möglichst zu verzichten, nur als unsinnig zurückgewiesen werden, denn jedem diagnostischen Verfahren liegen Normen zugrunde – ob man sie offenlegt und kennt oder nicht (s. dazu auch Kany &
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