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Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung

Titel: Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Schneeweiß , Theodor Hellbruegge
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»eine Haustier« ist der unbestimmte Artikel falsch.
In der Äußerung »dann sön essen« [dann isst er schön] bleibt das Verb unflektiert.
    (2) Auslassungen von Artikeln und obligatorischen Satzteilen
In der folgenden Äußerung fehlen das Hilfsverb (ist), das Subjekt (er), der Artikel (das) und das Präfix (ge) (fehlende oder modifizierte Satzteile in eckigen Klammern): »dann [ist er] in [das] Wohnzimmer tommt [gekommen] und [hat] mein[e] Hester (= Schwester) anzzieht [angesehen]«.
In der Äußerung »Hilfe ein Vodel [ist] in [im] Zimmer, heit [schreit sie]« wird erneut das Auxiliar (ist) ausgelassen, durch die weitere Auslassung des Subjektes (sie) ist der Satz nahezu unverständlich. (3) Wortstellungsfehler
    (3) Wortstellungsfehler
In der Äußerung »und [sieht] mein[e] Hester anzzieht [an]« steht der finite Teil des Verbs (sieht) nicht vorne, sondern Verb und Präfix stehen am Ende des Satzes. Auch bei der Äußerung »und uns Essen holt« steht das finite Verb (holt) am Ende des Satzes und nicht nach »und«. Die geforderte Verbzweitstellung des finiten Verbteils im Hauptsatz wird nicht produziert.
    Bei einer einfachen, zeitökonomischen, reliablen und validen diagnostischen Aufgabe, die ich als Königsweg in der Diagnostik und Differenzialdiagnostik kennzeichne (s. Schöler 1999, 2004; Schöler & Brunner 2008), nämlich dem
Nachsprechen von Sätzen
, konnte bereits Liebmann besondere Schwierigkeiten für Kinder mit einer USES/SSES feststellen: »Beim Nachsprechen treten rudimentare Flexionen auf, es werden auch Unterschiede im Genus gemacht, doch sind die meisten Flexionsformen noch falsch und das Genus wird meist verwechselt« (1901, S. 241). Auch der Achtjährige scheitert an dieser Aufgabe. Die unmittelbare Reproduktion des Satzes
Die Familie wird ein Haus im Grünen beziehen, das einen großen Garten hat
lautet:
    »In Faminen in grüne Haus und haben eine Darden«
(8;1 Jahre).
    Auch eineinhalb Jahre später schafft er weder eine angemessene Reproduktion noch Rekonstruktion:
    »Famigie[?] – ziehen da wo ein Haus in grüne stehen«
(9;7 Jahre).
    Auch kürzere Sätze mit Kunstwörtern bereiten ihm große Schwierigkeiten. Den Satz
Ein Molt ist von einem Fix gepalzt worden
reproduziert er wie folgt:
    »nMowel dit – worden«
(8;1 Jahre)
    »da mot wertet un mit dem potet geworden«
(9;7 Jahre).
    Neun Jahre später erzählt der mittlerweile 17-Jährige ohne sprachliche Ausdrucksprobleme über verschiedene Ereignisse, seine sprachlichen Äußerungen sind unauffällig geworden. Aber selbst als Jugendlicher kann er die obigen Sätze noch nicht reproduzieren oder rekonstruieren, wie dies fünf- oder sechsjährigen sprachunauffälligen Kindern ohne Schwierigkeiten gelingt. Seine Reproduktionen sind zwar deutlich besser geworden, den Hauptsatz reproduziert er fehlerfrei, er scheitert aber vollkommen an dem Nebensatz. Seine Reproduktion erinnert an die Positionseffekte
(primacy, recency),
die beim unmittelbaren Wiederholen von Listen sinnloser Silben auftreten, wie dies erstmals 1885 von Ebbinghaus (1992) in seinen Selbstversuchen gefunden wurde.
    »Die Familie wird ein Haus im Grünen beziehen – die in der – im Garten hat«
(17 Jahre)
    »Ein Molt wurde von – Gilbst gegilbst worden«
(17 Jahre).
    In einer üblichen Kommunikationssituation sind Auffälligkeiten in der Sprachproduktion des 17-Jährigen so gut wie nicht mehr erkennbar, die Reproduktionsleistungen beim Nachsprechen von Sätzen zeigen aber, dass die grundlegende Störung weiterhin persistiert. Ob daraus der Schluss gezogen werden kann, dassdie Störung auf ein universalgrammatisches Defizit zurückgeführt werden kann, ist allerdings sehr fraglich. Für viele in diesem Bereich forschende Personen, insbesondere aus dem Bereich der Linguistik, ist aber diese Annahme einer angeborenen Universalgrammatik leitend, und so werden immer detailliertere Deskriptionen der Sprachproduktionen durchgeführt, um USES-spezifische grammatische Strukturen oder Muster zu finden (s. z. B. van der Lely 2005; kritisch dazu s. Kany & Schöler, i. Dr. b).
    Zusammenfassend
ist festzuhalten, dass bei einer USES/SSES durchaus eine nahezu unauffällige sprachliche Kommunikation, insbesondere bei der Sprachproduktion erreicht werden kann, die zugrunde liegende Störung allerdings nicht beseitigt wird. Durch einfache Aufgabenstellungen, wie z. B. das unmittelbare Reproduzieren von Sätzen, sind nach wie vor sowohl rezeptive wie nachfolgend produktive Defizite evozierbar

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