Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
retrospektive Elternbefragungen stützen, haben nachgewiesen, dass das Alter bei Beginn der Störung im Durchschnitt zwischen dem 16. und 20. Lebensmonat liegt. Bei mehr als der Hälfte der Kinder wird ein Beginn der Symptome im ersten Lebensjahr beschrieben, bis zum Ende des zweiten Lebensjahres werden bei 95% der Kinder deutliche Auffälligkeiten festgestellt. Nur bei wenigen Kindern wird berichtet, dass sie im dritten Lebensjahr erstmals auffällig gewesen seien.
Obwohl ASS sehr früh beginnen, liegen gesicherte Erkenntnisse über spezifische Merkmale und Verhaltensweisen dieser Kinder im ersten Lebensjahr nur in begrenztem Umfang vor. Nach heutigem Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass die Entwicklung bei später als autistisch diagnostizierten Kindern bereits im ersten Lebensjahr nicht gänzlich unauffällig verläuft. Die Verhaltensbesonderheiten sind in frühen Entwicklungsphasen jedoch häufig unspezifisch und vieldeutig. So fällt es Eltern auf, dass das Schreien keinen »Signalcharakter« und die üblichen Maßnahmen wie Füttern, auf den Arm nehmen oder Wickeln keinen Einfluss auf das Schreiverhalten der Kinder zeigen. Einige autistische Kinder haben ein unauffälliges Schlafverhalten, während andere Kinder sehr wenig schlafen und nachts sehr unruhig sind. Manchmal haben autistische Kinder erhebliche Schwierigkeiten bei der Nahrungsumstellung im erstenLebensjahr und verweigern die Aufnahme von fester Nahrung. Von Eltern wie Fachleuten werden diese Auffälligkeiten nicht selten zunächst körperlichen Erkrankungen, spezifischen Ereignissen oder Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben, als Entwicklungsvarianten oder im Kontext einer anderen Entwicklungsstörung interpretiert. Für die klinische Praxis bedeuten sie in jedem Fall erhöhte Wachsamkeit und erfordern weitere entwicklungsbegleitende Kontrollen (Giese 2010).
Über die Altersgruppe jenseits des 18. Lebensmonats bis in das 3. Lebensjahr liegt mehr empirisch fundiertes Wissen vor. Die sozialen Auffälligkeiten nehmen im 2. und 3. Lebensjahr deutlich zu. Die Kinder gehen kaum auf Interaktionsangebote ein. Sie reagieren nicht, wenn ein Elternteil in den Raum kommt oder wenn sie bei ihrem Namen gerufen werden. Die schwach ausgeprägte soziale Initiative zeigt sich darin, dass Kinder mit ASS kaum gezielt die Aufmerksamkeit anderer Personen auf sich, einen Gegenstand oder ein Ereignis lenken. Der referentielle Blickkontakt als Rückversicherung bei räumlicher Entfernung von der Mutter/Bezugsperson oder Konfrontation mit neuen, unerwarteten Situationen fehlt ebenfalls bei der Mehrzahl der Kinder. Die affektive Bewertung der Situation, vermittelt über das Mienenspiel der Bezugsperson, kann daher nicht als Signal der Ermunterung zur Exploration und Auseinandersetzung mit der Umwelt genutzt werden, was möglicherweise auch zum Beharren auf Gleichförmigkeit beiträgt. Gemeinsame Aufmerksamkeit (joint attention) beinhaltet die wechselnde Fokussierung der gegenseitigen Aufmerksamkeit zwischen dem Kind, dem Erwachsenen und einem Gegenstand oder Ereignis. Sie wird dabei maßgeblich durch nonverbale Kommunikationsaspekte wie Blickkontakt zum Gegenüber, Leiten bzw. Folgen der Blickrichtung oder einer Geste gelenkt. Besonders wenn das Kind seinem Gegenüber ein Objekt zeigt, ist dieses sogenannte »protodeklarative Zeigen« ein Ausdruck sozialer Initiative und Orientierung, welcher die Sprachentwicklung sowie soziale Interaktion fördert. Kinder mit ASS zeigen kaum joint attention, oft fehlt das protodeklarative Zeigen (Giese 2010).
Eine starke Verzögerung oder gar ein Ausbleiben der Sprachentwicklung bis ins 3. Lebensjahr ohne kompensatorische Nutzung nonverbaler Kommunikationsmöglichkeiten gilt als früher Indikator einer autistischen Störung
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Anders als gesunde Säuglinge und Kleinkinder zeigen Kinder mit ASS wenig spezifisches Interesse an der menschlichen Stimme, insbesondere keine Präferenz fürdie Stimme der eigenen Mutter. Sie reagieren weniger intensiv und deutlich kürzer auf Ansprache und wenden sich Geräuschquellen in ihrer Umgebung nicht gezielt zu.
Kinder mit ASS lernen die sprachliche Äußerung im Zusammenhang mit bestimmten Situationen. Sie bestehen darauf, dass in einer gleichen Situation die gleichen Äußerungen benutzt werden. Zur Essenssituation gehört z. B. die Frage »Willst Du etwas essen?« Wird diese Frage nicht gestellt, wird das Kind sie genau in dieser Form äußern. Außerdem fällt es Kindern mit ASS schwer
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