Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
unauffälligen Kindern. Dies verstärkt den Teufelskreis, in dem sie sich befinden (»the rich get richer, the poor get poorer«).
In einem strukturierten Programm sollen die Kinder lernen, Wahrnehmung für »Nicht-Verstanden-Haben« zu entwickeln. Dies beginnt mit sehr »leichten« Übungen und steigert sich im Schwierigkeitsgrad (Anweisungen werden zu leise vorgegeben > ein entscheidendes Wort darin wird verwaschen-unverständlich vorgegeben > Anweisungen enthalten unbekannte Begriffe > Anweisungen sind undurchführbar, weil z. B. der zur Ausführung benötigte Gegenstand fehlt). Im zweiten Schritt sollen die Kinder lernen, ihr wahrgenommenes Nichtverstehen zu signalisieren (sprachkompetente Kinder können das etwa mit dem siebten Lebensjahr sehr gut). Allein die Erfahrung und das Gefühl, für die Mitteilung des Nichtverstandenhabens gegen alle bisherige Erfahrung auch noch bestärkt und gelobt zu werden, können beim Kind schon viel bewegen!
Variation des Blickkontakts (zweifelndes Schauen), verbale Äußerungen diversester Art (»Hä?«, »Das habe ich nicht verstanden!«, »Das Wort kenne ich nicht!«), Protest (»Das geht so nicht!«) oder Bitte um Wiederholung können geeignete Schritte sein auf diesem Entwicklungsweg. Ergebnisse aus den USA klangen hier recht vielversprechend. Schönauer-Schneider (2008) sieht in MSV ebenfalls ein förderliches unterstützendes Potential zur Reduktion von Sprachverständnisstörungen.
Dass Eiber (2010) hier eher gegenteilig das explizite Üben an den Verstehensaufgaben präferiert und dem MSV weniger Wirksamkeit zubilligt, muss nicht beunruhigen. All diese Studien basieren ja bisher auf sehr isolierten engen Versuchsanordnungen, die nicht repräsentativ für »das Sprachverstehen« insgesamt sind. Vielmehr lässt der Nachweis zumindest punktueller Wirksamkeit für beide Ansätze die Hoffnung zu, dass hier Veränderungspotential liegt, das wir ausschöpfen können. Den Königsweg haben wir bisher nicht gefunden, aber wir arbeiten daran. Dazu bedarf es größerer und umfassender Untersuchungen zur Therapiewirksamkeit.
Arbeit mit Schriftsprache:
Hörverstehen und Lesesinnverständnis sind keine identischen Leistungen, aber sie korrelieren. Deshalb kann Arbeit mit Schriftsprache ein hervorragendes Mittel für sprachverständnisgestörte Kinder sein, ihre rezeptiven Probleme bei gehörter Sprache darüber abzubauen. Vorausgesetzt natürlich, das jeweilige Kind bewältigt den Leselernprozess ohne größereProbleme. Schriftsprache ist gerade deshalb ein hervorragendes therapeutisches Medium, weil sie »anders« ist als Lautsprache. Lautsprache wird geäußert, gehört, schnell verstanden (oder eben nicht) und schon ist sie im Raum verklungen, unwiederholbar. Anders dagegen Schriftsprache: Sie ist ein statisches Medium, sie kann beliebig lange betrachtet werden, man kann über Gelesenes (oder Teilelemente davon) gezielt reflektieren, ohne hier – wie in der Lautsprache – durch die natürliche Begrenztheit des Kurzzeitgedächtnisses limitiert zu sein.
Gerade Textverständnis lässt sich mit Arbeit an schriftlichen Texten hervorragend therapieren. Man erarbeitet mit dem Kind Arbeitsschritte, wie es einer schwierigen Geschichte zu Leibe rücken kann, um den Sinn herauszubekommen. Gezielte Suche nach unbekannten Wörtern (dass man Wörter verstehen kann oder auch nicht, ist für viele Kinder hier schon ein wichtiger Erkenntnisgewinn!), Klärung von Wortbedeutungen (Nachfragen, Nachschlagen), mehrmaliges Lesen und Gliedern von Sätzen, Reflektieren des eigenen Verstehens schon auf Ebene kleiner Sinneinheiten (meist geben Texte durch den Absatz hier sogar Hilfe!), Herausziehen der wesentlichen Grundaussage, sind sozusagen aufsteigende Arbeitsschritte.
Derartiges Vorgehen bewährt sich erfahrungsgemäß hervorragend, beginnend zu einem Zeitpunkt, wo Kinder ohne allzu große Mühe lesen können, und fortzuführen bis in den Bereich des Jugendalters. Wir kennen diverse Beispiele, wo auch noch Jugendliche mit Sprachverständnisstörungen von der Anleitung zu solchen Arbeitstechniken so profitieren konnten, dass sie schulische Wege bewältigten, die ursprünglich gar nicht denkbar erschienen waren.
Ausblick
Erst seit etwa (maximal) fünfzehn Jahren werden Sprachverständnisstörungen bei Kindern und Jugendlichen von den sprachtherapeutischen Disziplinen im deutschsprachigen Raum überhaupt richtig wahrgenommen, davor beschränkte sich Sprachtherapie (in der Theorie und in der Praxis)
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