Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
allen entwicklungsbedingten Sprachstörungen (im Gegensatz zu den z. B. durch Schlaganfall »erworbenen« Aphasien) ist die konkrete Ursache im Falle einer Sprachverständnisstörung beim einzelnen Kind kaum zu fassen. Organische Gehirnveränderungen, Hörverluste, massive Intelligenzdefizite oder schwere soziale Deprivation können »Sprachstörungen« bedingen, die aber nicht dem hier diskutierten Bereich der »spezifischen« Sprachstörungen bei Kindern angehören.
Gerade in den letzten Jahren wird (auch) bei spezifischen Sprachstörungen die genetische Bedingtheit diskutiert. Teileinflüsse dieser Art sind nachgewiesen in Familienstudien. Zu wie vielen Prozenten eine kindliche Sprachstörung aber genetisch bedingt ist, ist nicht bekannt, Genetik allein bietet aber meist keine ausreichende Erklärung. Die kurzfristige Euphorie, ein einzelnes verantwortliches Gen für Sprachstörungen (FOXP2) zu finden, hat sich wohl etwas zerschlagen, aktuell wird mehr von einer multigenetischen Bedingtheit gesprochen. Als weiterer Verursachungsfaktor stehen die prä-, peri- (und post-)natalen Schädigungen des jungen Gehirns im Raum, die beim Auftreten der Sprachstörung aber meist nur hypothetisch angenommen werden können. Eine weitere Diskussion der Ursachen ist wichtig und begrüßenswert, aktuelle Bedeutung für die Sprachtherapie hat sie aber aktuell noch kaum.
Häufigkeit
Die Häufigkeit von
Sprachstörungen
insgesamt bei Kindern ist bisher nicht exakt bekannt, sie schwankt ja auch mit der jeweils zu Grunde liegenden engen oder weiten Definition von Sprachstörung sehr stark. Eine immer wieder in seriösen Veröffentlichungen zu findende Zahl nennt eine Spannweite von 6 – 8 Prozent sprachgestörter Kindern im (relativ gut untersuchten) Altersbereich vor der Einschulung.
Sprachverständnis
: Noch wesentlich kryptischer sind uns die Zahlen bei Sprachverständnisstörungen. Diese »fallen ja kaum auf«, weil die Kinder vollkommen unbewusste Strategien entwickeln um sich so gut wie möglich mit ihrem Problem zu arrangieren. Dies kann – wie schon erwähnt – auch Rückzug oder Verhaltensprobleme bedingen, die dann vielleicht gesehen, aber nicht mitdem Sprachverständnis in Beziehung gesetzt werden. Nicht oft genug kann man Folgendes sagen:
Sprachverständnisgestörte Kinder haben meist kein konkretes Wissen über ihr Problem, sie zeigen kein
»
Störungsbewusstsein«
. Es kann vielmehr ein Therapieansatz sein, dieses in pädagogisch geeigneter Weise aufzubauen.
Als Arbeitshypothese kann man nun aufstellen, dass ca. die Hälfte der oben genannten sprachgestörten Kinder (6 – 8 Prozent) auch eine Sprachverständnisstörung aufweist, was 3 – 4 Prozent der genannten Ausgangspopulation entsprechen würde. Für die betroffenen Kinder ein hohes Entwicklungsrisiko und manchmal eine echte »Katastrophe«, denn das Sprachverständnis bei Einschulung ist wie schon gesagt (Beitchman & Brownlie 1996) der aussagekräftigste Prognosefaktor für den weiteren Schulerfolg!
Prognose
Sprachverständnisstörungen sind nach aktuellem Kenntnisstand aus zwei Gründen die problematischsten aller kindlichen Sprachstörungen: Sie haben größten Einfluss auf die gesamte Entwicklung des Kindes und sie sind nach bisheriger Lesart die am wenigsten therapeutisch beeinflussbare kindliche Sprachstörung: Statistiken zeigen, dass sie am stärksten persistieren (Romonath 2003) und dass die Wirksamkeit von Therapie gerade hier nicht ausreichend belegt ist (Suchodoletz 2008).
Beides könnte natürlich auch daran liegen, dass bisher einfach nicht die richtigen Therapiemethoden gefunden sind, die Ergebnisse der Arbeit von Eiber (2010) lassen an eine solche Möglichkeit denken, was ja therapeutisch und prognostisch sehr erfreulich wäre. Betroffene Kinder hatten dort unter Therapie ihr Satzverständnis erstaunlich verbessern können. Dies klingt optimistischer als viele Alltagserfahrungen von Therapeuten/innen und auch diverse andere Veröffentlichungen. Man wird sehen …
Die Entwicklung des Sprachverständnisses
Sprachverständnis entsteht nicht als isolierte linguistische Fähigkeit des kindlichen Gehirns, Sprachverständnis entsteht in und aus der alltäglichen Kommunikation, die neben verbaler Sprache ja eine Fülle von sozialen und emotionalen Faktoren enthält.
Zuerst ist »alles eins«! Im Verlauf der ersten Lebensjahre entwickelt sich aus diesem »globalen« Verstehen das engere Sprachverstehen als eigener Strang. Ein entscheidender Schritt
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