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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Jurist Günther Jakobs ausgedacht, und es ist eine direkte Folge des hyperbolischen Steigerungswahns unserer sogenannten Sicherheitspolitiker, siehe →   Kriminalität, schwerste . Denn wer eine solche Überkriminalität herbeifabuliert, die mit bisherigen →   Maßnahmen angeblich nicht mehr bekämpft werden kann, der muss natürlich auch irgendein passendes Gegenmittel erschwurbeln. Eben das Feindstrafrecht , das auf der Idee basiert, dass Terroristen keine Menschen seien, weswegen es für sie ein Extra-Recht geben müsste. Beziehungsweise ein Konstrukt, das ihnen einen rechtlichen Schutz eben nicht mehr zugesteht und zum Beispiel erlauben will, sie zu foltern und zu quälen. Basiert auf der mittelalterlichen Vorstellung, dass jemand, der grundlegend gegen das Recht verstößt, seine Rechte verliert. Das Feindstrafrecht ignoriert dabei vorsätzlich die universelle Gültigkeit gewisser Grund- und Menschenrechte ( Déclaration universelle des droits de l’homme ), auf die sich die Menschheit inzwischen geeinigt hat und die bislang zumindest als großer Fortschritt galten. Es verstößt damit auch wissentlich gegen Artikel eins des Grundgesetzes, in dem es nicht ohne Grund heißt: »Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft.«

Finanzindustrie
    Eine Erfindung derselben, um sich wichtig zu machen. Suggeriert, dass diese Branche etwas Handfestes produziert und damit einen Mehrwert schafft, obwohl dem natürlich nicht so ist. Denn eigentlich verkauft sie Wetten. In anderen Zusammenhängen heißt so etwas Glücksspiel. Wenn ganze Volkswirtschaften darauf basieren, darf das natürlich nicht so schrecklich unsicher klingen. Denn obwohl der produzierte Mehrwert nur in der Vorstellung der Aktienhändler existiert, die früher Spekulanten hießen, heute aber lieber als Broker oder als sektenartige Börsianer firmieren, hält die Allgemeinheit die Zockerei der Banken und Versicherungen offenbar noch immer für einen ehrenwerten Beruf. Die Lüge klingt aber auch einfach zu schön. So als würden in der Finanzindustrie viele eifrige Arbeiter wie am Fließband Reichtum für alle produzieren. Zu dumm, dass die Finanzindustrie , statt Werte herzustellen, ganze Staaten in die Krise stürzt. Den Protagonisten ist das anscheinend auch aufgefallen, sonst würden sie sich nicht ständig neue Euphemismen für ihr Tun ausdenken. Siehe auch →   Finanzprodukt , das den Eindruck erweckt, in einem aufwändigen Produktionsprozess würden »finanzielle Rohstoffe« zu neuen Dingen »veredelt«. Gemeint sind allerdings Aktien und andere Wetten auf die Zukunft, deren Wert allein aufgrund der Hoffnung ihrer →   Endkunden existiert.

Finanzprodukt
    Angeberisch für Geldanlage. Es handelt sich um den Versuch einer Metonymie, einer Bedeutungsverschiebung. Denn Finanzprodukte , vulgo Aktien, Sparverträge oder Versicherungen, sind entweder Wetten auf die Entwicklung eines Unternehmens oder eines Rohstoffes. Oder sie sind von der Bank festgelegte Bedingungen, unter denen diese bereit ist, das Geld eines Kunden entgegenzunehmen. Ergebnis einer Produktion sind Finanzprodukte hingegen nicht, niemand hat irgendetwas hergestellt. Das aber behauptet das Wort. Ihm liegt das lateinische Verb producere zugrunde, das »hervorbringen«, »vorführen« heißt. Vorgeführt wird beim Finanzprodukt aber nur der, der es kauft. Denn bei einer Geldanlage ist der Kunde der Handelnde, er legt sein Geld bei einer Bank an. Beim Finanzprodukt jedoch steht die Bank im Vordergrund, die dem Kunden aktiv ein Produkt verkauft. Damit wird die Bedeutung des Kunden ausgeblendet und die Beziehung zwischen Bank und Kunden umgekehrt. Nun steht die Bank im Mittelpunkt, die angeblich ganz tolle Produkte anbietet, nicht mehr der Kunde, der sein Gespartes zu ihr trägt. Was allerdings unfreiwillig die tatsächliche Relation ganz gut wiedergibt. Denn nicht der Kunde profitiert von diesem Geschäft, sondern vor allem die Bank. Genau wie im Spielkasino gilt auch bei Finanzprodukten die Regel: Die Bank gewinnt immer.

Finanztransaktionssteuer
    Die Finanztransaktionssteuer ist ein interessanter Neusprech-Sonderfall, weil der Begriff völlig korrekt ist. Es geht um eine Steuer auf Finanztransaktionen, auf den Handel mit Geld oder besser mit so etwas wie Lottoscheinen. Allerdings klingt das sehr viel komplizierter, als es müsste. Denn für eben diesen Zusammenhang gibt es ein Wort, das

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