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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Atomkraftwerken. Das Ereignis macht es möglich, über peinliche, schlimme oder hässliche Dinge zu reden, ohne sie erwähnen zu müssen. Ereignis hat auch einen sehr viel sachlicheren Klang als zum Beispiel Unfall, Störfall, Attentat. Das ist praktisch und darf daher in keinem Redenbaukasten fehlen. Siehe auch →   Maßnahme .

ergebnisoffen
    Wortneuschöpfung, die den Eindruck erweckt, dass bei einer Debatte eine Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen und noch jedes Resultat möglich ist – was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Dass dieser Aspekt extra betont wird, ist ein sicherer Hinweis darauf, dass längst alle Entscheidungen gefällt wurden. Der Begriff soll Gegnern einer →   Maßnahme das Gefühl vermitteln, ihre Einwände würden gehört, obwohl genau das nicht beabsichtigt ist. Siehe die Suche nach einem →   Endlager , die eigentlich keine Suche ist, immerhin hat sich der Ort der geplanten Atommüllkippe seit Jahrzehnten nicht geändert. Das Wort ergebnisoffen wird aber auch verwendet, um eine Verhandlung, deren Ausgang unerwünscht, aber unvermeidlich ist, solange wie möglich in die Zukunft zu verschieben. Das wiederum soll dem Verhandlungspartner vorgaukeln, dass seine Forderung erfüllt werden könnte, wenn er nur genug Geduld zeigt. Dabei ist das eigentliche Ziel, keine Entscheidung zu fällen oder eine längst gefällte nicht verkünden zu müssen. Siehe der geplante EU-Beitritt der Türkei, der auch schon seit vielen Jahren geprüft wird, selbstverständlich ergebnisoffen . Dass er längst nicht so ergebnisoffen ist, zeigt sich daran, dass dem Land gleichzeitig eine →   privilegierte Partnerschaft angetragen wurde. Die Verwendung des Wortes basiert in beiden Fällen auf der Hoffnung, ein Problem könnte sich von selbst erledigen, wenn man es nur lange genug verschweigt. Beziehungsweise auf der Annahme, die überwiegende Mehrheit der Kritiker werde irgendwann ihre Argumente vergessen und ihre Meinung ändern, wenn die Debatte nur lang genug dauert.

Ermittlungsmethoden, moderne
    Unscharfe Formulierung, die von Politikern gern verwendet wird, um den Zusammenhang »Polizei« und »irgendwas mit dem Internet« zu umschreiben. Eine neue Technik wie eben dieses Internet erfordere entsprechende Antworten der Behörden, lautet die Argumentation dazu. Gemeint ist mit den modernen Ermittlungsmethoden aber nicht, dass Polizisten im Netz ermitteln, vielleicht sogar uniformiert und irgendwie sichtbar. Gemeint ist auch nicht die Nutzung von Google. Gemeint ist in der überwiegenden Zahl der Fälle der Versuch, sämtliche Inhalte elektronischer Kommunikation dauerhaft zu speichern und heimlich auszuwerten, daher Überwachungsinstrumente wie die →   Vorratsdatenspeicherung oder die →   Funkzellenabfrage . Insofern handelt es sich um einen Euphemismus, eine Verschleierung. Ob diese absichtlich erfolgt oder aus Unkenntnis darüber, wie das Internet funktioniert, können wir nicht beurteilen. Möglich ist beides. Im zweiten Fall wären die modernen Ermittlungsmethoden dann auch noch ein Füllwort: so wie »Gedöns«.

Experte
    Es gibt Wörter, die streuen wir in unsere Sätze ein, obwohl sie keinen tieferen Sinn haben. Sie sollen lediglich über Lücken im Text hinweghelfen und dabei ein kuscheliges Gefühl vermitteln. In der Linguistik werden sie, eben weil sie überall stehen könnten, Passepartoutwörter genannt (französisch für passer »hindurchgehen« und partout »überall«). Der Experte ist ein solches Füllwort. Einst war damit mal jemand gemeint, der überdurchschnittlich viel von einem Gebiet versteht, der darin also erprobt ist, auf lateinisch expertus . Inzwischen allerdings wird der Experte vor allem von Medien als Titel für all die Menschen verwendet, die entweder keine anständige Berufsbezeichnung haben oder deren Beruf so kompliziert ist, dass er nicht in die dreißig Zeichen langen Untertitel auf dem Bildschirm passt. So werden diese dann zum Beispiel zu Internet- Experten , Terrorismus- Experten oder Wirtschafts- Experten , gelegentlich auch hochgeschwurbelt durch den Zusatz »führende«. Das klingt kompetent und soll darüber hinwegtäuschen, dass der Betreffende auch nicht mehr über die Situation weiß als die Moderatoren und die Zuschauer. Denn seit Massenmedien allein in Deutschland täglich gefühlte dreihundert Experten verheizen, um die komplizierte Welt zu erklären, werden sie knapp. Insofern ist der Begriff längst Medienneusprech und steht nicht mehr

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