Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
ebensowenig nuklear , wie starke Raucher stark sind. Und sie dient hier dazu, den Ausdruck »atomare Katastrophe« zu vermeiden.
Forschungsbergwerk
Eigentlich Schachtanlage Asse II, ein ehemaliges Salzbergwerk in Niedersachsen, das seit 1965 offiziell als Forschungsbergwerk bezeichnet wird. Allerdings fungierte es seitdem weder als Bergwerk, noch diente es der Forschung. Zumindest wenn man Forschen definiert als das durch Methoden geleitete Überprüfen von Hypothesen in kontrollierter Umgebung zum Zweck des Erkenntnisgewinns. In Asse II jedoch wurde nie etwas erforscht. Wohlmeinende könnten einwenden, dort sei die Lagerung radioaktiven Mülls erprobt worden – im Sinne von nachgeschaut, was passiert, wenn man es einfach tut. Denn eigentlich war das Forschungsbergwerk eine Abladestelle für strahlenden Abfall aus Atomkraftwerken, daher eine atomare Müllkippe. Erkenntnisse kamen dabei durchaus zustande, wenn auch ungewollt. Unter anderem die, dass sich Salzstöcke nicht als → Endlager eignen, dass sie also die Hoffnung, den strahlenden Dreck nie wieder sehen zu müssen, grandios enttäuschen. Jedoch wurde diese Erkenntnis weder methodengeleitet, noch kontrolliert gewonnen, sondern durch grob fahrlässiges Ignorieren wissenschaftlicher Bedenken und mit entsprechend katastrophalen Folgen. Es dauerte viele Jahre, bis die Sauerei einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde und die Politik sich zum Handeln genötigt sah. Die absichtliche Falschbezeichnung als Forschungsbergwerk hatte daran sicher einigen Anteil.
Fortschrittsverweigerer
Auch Technik- oder Modernisierungsverweigerer genannt. Abwertend gemeinte Bezeichnung für Gegner staatlicher Pläne, insbesondere Bauvorhaben. Nutzt die negative Konnotation des Ausdrucks Verweigerer, der auch als Nörgler verstanden werden kann. Die Beschimpfung als Fortschrittsverweigerer ist der Versuch, Kritik an diesen Plänen zu diffamieren, indem an den Glauben appelliert wird, Neues sei per se besser als Altes; wer das Neue kritisiert, müsse folglich verstaubt und dumm sein. Spaßigerweise dient das entsprechende Vorhaben damit als Begründung für sich selbst. Es ist neu, das genügt; ob es taugt, ist egal. Weniger lustig ist, dass möglicherweise sinnvolle Gegenargumente und die ebenfalls nicht dumme Warnung, Technik verantwortungsvoll einzusetzen, beiseitegeschoben werden. Die gesellschaftliche Debatte wird damit nicht als Chance verstanden, ein Vorhaben so gut wie möglich umzusetzen, sondern als Ignoranz und Beschränktheit dargestellt. Damit ist der Fortschrittsverweigerer so etwas wie ein Judotrick des Neusprech, der die Energie des Gegners gegen ihn selbst wendet. Dank seiner Eleganz und nahezu garantierten Wirkung wird er dementsprechend häufig eingesetzt, vor allem bei riskanten und/oder teuren Ideen zum Beispiel in den Bereichen Atomkraft, Genetik oder Verkehr.
freiheitsschonend
Weiß bedeutet schwarz und ja heißt nein – so lautet die wohl wichtigste Formel zur Entschlüsselung von Neusprech. Probieren wir es aus. Die CSU behauptet, sie wolle » freiheitsschonende Technologien zur Früherkennung krimineller Bedrohungen« entwickeln. Eine Vorbemerkung: Gemeint sind damit Verfahren wie die → Vorratsdatenspeicherung , deren Aufgabe es ist, die Kommunikation aller Menschen hierzulande über lange Zeit zu speichern, um sie im Zweifel auswerten zu können. Man wolle also dafür sorgen, behauptet unser Beispielsatz, dass die entsprechenden Instrumente die Freiheit der Bürger schonen. Das aber bedeutet selbstverständlich, dass diese Verfahren eigentlich die Freiheit bedrohen. Warum sonst müsste dieser Ansatz so betont werden? Würde die → Vorratsdatenspeicherung mehr Freiheit gewähren, brauchte es die sprachliche Schonung nicht. Schlussfolgerung: Die CSU drückt somit eigentlich aus, dass sie sehr wohl weiß, dass die → Vorratsdatenspeicherung ein Werkzeug zur Überwachung ist und dass sie eben nicht gedenkt, das Land freier zu machen. Der Begriff freiheitsschonend versucht, diese Tatsache umzudeuten beziehungsweise die davon betroffenen Bürger zu beruhigen und ihnen zu suggerieren, dass schon nichts Schlimmes geschehen werde. Siehe auch → grundrechtsschonend .
freisetzen
Kompositum aus dem Adjektiv »frei« und dem Verb »setzen«. Synonym dafür, einen bis dahin eingesperrten Gegenstand ungewollt freizulassen. Bei Radioaktivität oder giftigen Gasen, die aus dem Leck einer Fabrik entweichen, mag freisetzen noch eine durchaus
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