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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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Zusammenspiel der ad-verecundiam- und der ad-ignorantiam-Argumentation zeigt sich deutlich in einem Diskussionsbeitrag von eben jenem Wolfgang Schäuble:
»[…] was immer man unter Online-Durchsuchung versteht, da reden ja auch die Leute alle ganz klug, die keine Ahnung haben. Es ist so aufwändig, dass der Chef des Bundeskriminalamtes, der Herr Ziercke, der versteht e bissel was davon. Ich versteh nix davon. Er hat gesagt, so ’ne Maßnahme ist so aufwändig, wir wären überhaupt nur in der Lage, zehn pro Jahr überhaupt zu versuchen, ob sie gelingen, ist noch was anderes.«
    Zunächst wird der Gegner als unwissend dargestellt (»da reden ja auch die Leute alle ganz klug, die keine Ahnung haben«). Dann kommt der Verweis auf den Experten, verbunden mit einer ironischen Untertreibung (»der versteht e bissel was davon«). Gefolgt wird das von dem koketten Eingeständnis des eigenen Unwissens (»ich versteh nix davon«), um schließlich zu behaupten, es gäbe kaum Überwachungsmaßnahmen. Dass der Herr Ziercke nur ein ausführender Beamter, somit Befehlsempfänger, und der Herr Schäuble der politisch Verantwortliche, also Befehlsgeber ist, sagt der Herr Schäuble bei solchen Gelegenheiten lieber nicht. Denn sonst funktioniert der Trick mit der Ablenkung nicht so gut.

Konnotation
    Und nun noch ein Nachwort zum Nachwort. Bei den in diesem Buch beschriebenen Wörtern kann der Eindruck entstehen, dass sie irgendwie »falsch« sind und nur durch »richtige« ersetzt werden müssen, und alles wäre gut. Neben den Erläuterungen, was eigentlich gemeint ist, machen wir gelegentlich ja auch Vorschläge, wie ein Gegenstand noch bezeichnet werden könnte. Das Problem ist allerdings: Es gibt keine »richtigen« Wörter. Jedes Wort hat neben seiner Bedeutung (Denotation) auch noch eine Konnotation, die sich aus den Assoziationen ergibt, die andere Menschen mit dem Wort verbinden.
    Das müssen nicht für alle dieselben Assoziationen sein. Wie sich die Bedeutung eines Wortes wandeln kann, so verändert sich auch sein konnotativer Gehalt. Der konnotative Wandel ist oft sogar schneller als der denotative, wie das Beispiel der →   Vorratsdatenspeicherung zeigt: Zunächst klang Vorrats - durchaus positiv, aber inzwischen ist das Wort politisch (also konnotativ) verbrannt, und die Politiker reden lieber von Datenspeicherfrist oder Mindestspeicherung . Zwar erscheint Datenhortung angesichts des Sachverhaltes treffender, aber ein konnotativ neutrales Wort ist es auch nicht. Wer es verwendet, gehört wahrscheinlich zu den Gegnern des Konzeptes.
    An den Konnotationen der verwendeten Wörter kann man also ablesen, welche Einstellung der Sprecher hat. Verwendet er zum Beispiel positiv klingende Wörter, ist er wohl ein Befürworter der Angelegenheit. Sind die Wörter gar stark positiv aufgeladen oder treten sie in großer Zahl auf, dann ist durchaus Skepsis angebracht, denn wahrscheinlich will dort jemand mit Sprache überzeugen und vielleicht sogar Realität verzerren.
    Leider ist auch fachliches Vokabular kein Ausweg, denn gerade Präzisismen und Technizismen haben eine vernebelnde Wirkung. Sie beeindrucken vielleicht den Hörer, der wenig von der Materie versteht. Aber sie sollten immer Anlass sein, Vorsicht walten zu lassen, insbesondere wenn der Sprecher mit der Materie nicht vertraut ist und somit die Verwendung von Fachvokabular unangemessen erscheint.
    Allerdings soll hier nicht einer allgemeinen Relativierbarkeit das Wort geredet werden. Zwar gibt es keine neutralen Wörter, aber das ist ja gerade der Vorteil der Sprache: Die Einstellung des Sprechers ist sozusagen aus der Konnotation ablesbar. Victor Klemperer hat in seinem »Notizbuch eines Philologen« über die Sprache der Nazis einen Satz geschrieben, den wir als Motto diesem Buch vorangestellt haben:
»Was jemand willentlich verbergen will, sei es vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: Die Sprache bringt es an den Tag.«
    Sprache zeigt die Meinungen und Einstellungen der Sprecher. Es ist kaum möglich, diese zu verhehlen. Zum Glück. Denn so kann die Sprachanalyse – insbesondere die der Konnotation – dabei helfen, das eigentlich Gemeinte und Beabsichtigte zu erkennen.
    Das ist wichtig. Denn was soll Neusprech? Nun, vor allem wohl den Sprecher schützen. Viele Wörter und Formulierungen haben den Zweck, den oder die Verantwortlichen zu verbergen oder zu verschleiern, dass überhaupt jemand die Verantwortung trägt. Aber es gibt

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