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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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korrekte Bezeichnung sein. Zumindest solange es sich um einen →   bedauerlichen Einzelfall handelt und die Ursache dafür nicht systematische Schlamperei war, die an Mutwillen glauben lässt. Zum Euphemismus beziehungsweise zur Frechheit wird das Wort jedoch, wenn es um Menschen geht. Die Logik besagt, die Betroffenen seien nun ja wieder frei für den Arbeitsmarkt, vgl. →   Markt, der . Das Freisetzen soll dabei wie mildes Bedauern klingen. Dabei ist es nur zynisch, denn um diese Freiheit haben sie nie gebeten. Und ihre Arbeitsplätze sind auch nicht plötzlich und ungewollt verschwunden. Sie wurden gezielt »abgebaut«, um nicht zu sagen vernichtet. Die Haltung, die sich hinter dieser Verschleierung verbirgt, zeigt sich bereits im Wort selbst. Denn das verbale Glied »setzen« wird auch verwendet für das Herumschieben von Spielsteinen auf einem Brett. Daher: Wer andere freisetzt oder auch →   freistellt , betrachtet sie als Gegenstände und will nur nicht sagen, dass er sie auch so behandelt und rausschmeißt.

freistellen
    Entlassen, rausschmeißen oder kaltstellen. Siehe →   freisetzen .

Fundamentalisten, linksliberale
    Klingt übel und soll es auch, denn es ist eine Schmähung, die mit Vorurteilen spielt. Glauben Sie nicht? Nun: Woran denken Sie beim Begriff Fundamentalisten? Richtig, an Al-Qaida. Bei Linken? An brennende Autos und fliegende Steine, oder? Bei Liberalen, noch dazu Linksliberalen? An die FDP? Sie scherzen. Denken Sie nicht viel eher an Unterstützer der Schwulenehe oder an Kriegsdienstverweigerer und ähnliche »Feiglinge«? Das zumindest hat sich der Innenminister wohl erhofft, als er »Kritiker der Anti-Terror-Gesetze« linksliberale Fundamentalisten nannte. Was bedrohlich klingt. Dabei sind Menschen gemeint, die sich auf das Grundgesetz berufen und die argumentieren, zu viel Überwachung, für welch gut gemeinten Zweck auch immer, könne nicht gut sein. Sie misstrauten »dem eigenen Rechtsstaat«, wirft der Minister ihnen nun vor. Womit er einen interessanten Einblick in sein Denken gibt. Das Grundgesetz ist eine Sammlung von Abwehrrechten, es soll den Einzelnen vor dem Staat schützen. Denn seine Autoren misstrauten jedem Staat, aus langer, leidvoller Erfahrung. Somit ist es eine erstaunliche Verdrehung dieser Idee, zu behaupten, wer den Staat in seiner Macht beschränken wolle, gefährde »Leib und Leben Unschuldiger«. Dient die Beschränkung des Staates doch dazu, die Freiheiten aller zu erhalten und damit letztlich auch ihren Leib und ihr Leben. Denn niemand hat in der Geschichte so bedenkenlos und so erfolgreich unterdrückt, gefoltert und getötet wie allmächtige Staatsapparate und ihre sich unangreifbar fühlenden Beamten. Der Minister bedient sich damit einer negativen Konnotation, in der Sprachwissenschaft auch als Pejoration bezeichnet. Man könnte auch sagen, er betreibt Propaganda. Übrigens ziemlich flache, denn linksliberale Fundamentalisten sind gerade nicht liberal, deswegen heißen sie so.

Funkzellenabfrage
    Technisch korrekter Begriff, trifft jedoch nicht annähernd den Kern der Sache. Angesichts des tiefen Eingriffs in die Privatsphäre, den diese sogenannte verdeckte, also heimliche Fahndungsmethode der Polizei bedeutet, ist die Beschreibung grob irreführend, somit ein Technizismus. Bei der Funkzellenabfrage werden auf Betreiben der Polizei sämtliche Verbindungsdaten einer spezifischen Funkzelle abgefragt und ausgewertet. Dadurch wird die Telefonnummer jedes Mobiltelefons ermittelt, das zu diesem Zeitpunkt an dieser Funkzelle angemeldet war – letztlich also der Standort seines Besitzers. Das Verfahren kann beispielsweise bei Demonstrationen pro Abfrage tausende unschuldige und unverdächtige Menschen betreffen, die so in den Fokus einer Ermittlung geraten. Es bedeutet also mindestens eine Rasterfahndung. Üblicherweise werden allerdings viele Funkzellen zu vielen verschiedenen Zeitpunkten abgefragt, was einer Großraumüberwachung gleichkommt. Mit den Daten lassen sich außerdem die Bewegungen einzelner Personen nachvollziehen, also sogenannte Bewegungsprofile erstellen. Und es kann aufgeklärt werden, wer mit wem wie häufig und von wo aus kommuniziert. Entspricht daher in seiner Wirkung der bislang nicht zugelassenen →   Vorratsdatenspeicherung .

G
    Gefährder
    Im staatlichen Sinne ein Mensch, von dem eine Gefahr ausgeht, vor allem eine terroristische. Der Gefährder klingt bedrohlich und soll es auch. Denn mit dem Begriff, den es in keinem

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