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Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
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sanierungsfähig« gelten, stillgelegt werden. So war die Treuhand in Wirklichkeit eine Anstalt zur Abwicklung von volkseigenen Betrieben. Ihre Aktivitäten dürften also eher mit denen einer Insolvenzverwaltung vergleichbar sein, nur eben deutlich ungeordneter ( →   Insolvenz, geordnete ).

U
    Umweltprämie
    Die Umweltprämie ist vor allem eines: ein Beleg für die Macht der Sprache (und natürlich für die des Geldes). Für einen Rabatt von kaum mehr als elf Prozent waren nahezu zwei Millionen Deutsche bereit, ihr Auto zu verschrotten. Sie waren bereit, sich sofort ein neues zu kaufen – egal ob sie es brauchten oder es sich überhaupt leisten konnten. Die Umweltprämie suggerierte ihnen, sie würden damit der Umwelt etwas Gutes tun. Was niemand glaubte. Umgangssprachlich heißt die Umweltprämie daher sehr viel treffender Abwrackprämie . Eigentlich aber war sie eine versteckte Industrieförderung. Denn die Abwracker taten nichts weiter, als die Taschen der Autoindustrie zu füllen. Und warum? Weil gierige Hasardeure das Wirtschaftssystem ausgeplündert hatten und armselige Politiker fürchteten, deswegen bei der kommenden Wahl ihr Amt zu verlieren. Also nahmen sie das von ihren Bürgern eingezahlte Steuergeld und schenkten es über einen kleinen Umweg der Industrie. Oder, wie Hans Magnus Enzensberger schreibt: »Abwrackprämie, die; Belohnung für die Vernichtung von Gebrauchtgegenständen; ihr Besitzer empfängt die Prämie, die er als Steuerzahler entrichtet.« Die Umwelt übrigens, die für die Benennung herhalten musste, hatte von allen wohl den geringsten Gewinn. Im Gegensatz zu denen, die für die Verluste an den →   Märkten verantwortlich sind. Die machen einfach weiter und werden mit immer neuen Steuermilliarden unterstützt. Allerdings hat man bei den als →   Rettungsschirm bezeichneten Geldgeschenken für die Banken irgendwie vergessen, den Bürgern wieder ihre elf Prozent abzugeben.

V
    Verbunddatei (Rechtsextremismus)
    Die Verbunddatei (Rechtsextremismus) ist eindeutig Neusprech, das Wort gab es bis vor kurzem nicht. Allerdings entspricht es nicht den üblichen Nebel- und Schleierkategorien. »Datei« ist ein Kofferwort aus »Daten« und »Kartei«, erfunden vom Deutschen Institut für Normung, um eine Sammlung zusammengehörender digitaler Daten zu beschreiben. »Verbund« immerhin gibt einen zarten Hinweis auf die Struktur der Angelegenheit und deutet an, dass hier etwas verknüpft wird. Eine Datei also, die aus verschiedenen Daten besteht? Eigentlich gibt es ein eingeführtes Wort dafür, es lautet Datenbank. Die Verbunddatei (Rechtsextremismus) nun entsteht, indem in Datenbeständen diverser staatlicher Stellen nicht näher bezeichnete Informationen gesucht werden, die auf rechtsextreme →   Gefährder hindeuten. Diese Informationen werden dann samt den Namen der Betreffenden und ihrer »Kontaktpersonen« in einer »gemeinsamen standardisierten zentralen Datei« gespeichert, wie das Innenministerium sie nennt, also in einer neuen Datenbank. Es ist somit eine Sammlung einer unbekannten Menge an Informationen über eine unbekannte Anzahl an Menschen. Um von einer Beschreibung wie, sagen wir, »behördenübergreifende Datenbank mit fragwürdiger datenschutzrechtlicher Legitimation zur Speicherung persönlicher Informationen zur Identifizierung rechtsradikal motivierter Straftaten« auf einen Begriff wie Verbunddatei (Rechtsextremismus) zu kommen, muss man schon ordentlich steif sein. Aber der Wunsch nach Verschleierung war wohl nicht Ursache der seltsamen Namensgebung. Eher der Versuch, das Ding irgendwie knackig zu benennen. Amerikanische Behörden behelfen sich in solchen Situationen mit mehr oder weniger witzigen Abkürzungen, meist aus den Anfangsbuchstaben der die Sache beschreibenden Wörter. Wir erfinden lieber neue Komposita. Es scheint hierzulande eine gewisse Lust daran zu existieren, mit Worten um sich zu werfen, die der Allgemeinheit nicht vertraut sind. Die sind dann eben mal mehr und mal weniger gut gelungen. In diesem Fall Letzteres. Denn Verbunddatei (Rechtsextremismus) ist einfach nur Stümperdeutsch. Es erklärt nichts. Die Idee dahinter kann man selbstverständlich trotzdem gut finden. Man kann sich aber auch fragen, ob da nicht eine Verdächtigendatenbank (Rechtsextremismus) entsteht, die nach geheimen Kriterien sortiert ist und für einen unklaren Zweck gebaut wurde. Vgl. →   Antiterrordatei .

Verfassungsschutz
    Staatliche Einrichtung, deren Aufgabe es ist, wie

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