Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
es im zuständigen Gesetz heißt, Informationen über Bestrebungen zu sammeln, die sich gegen die »freiheitliche demokratische Grundordnung« richten. Der Verfassungsschutz soll also dafür sorgen, dass hierzulande niemand Verschwörungen mit dem Ziel plant, unsere im Grundgesetz verankerten Rechte abzuschaffen. Von diesen Rechten gibt es eine ganze Menge: das Brief- und das Postgeheimnis etwa, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Rede- und Demonstrationsfreiheit, das Vertrauen in die Sicherheit von Computern – nur um ein paar Beispiele zu nennen. Im Prinzip eine tolle Idee. Leider kann der Verfassungsschutz das offensichtlich nur, indem er heimlich Briefe und Mails liest, Telefonate belauscht, in Wohnungen einbricht, beobachtet, wer wofür demonstriert, und Computer verwanzt. Nur um ein paar Beispiele zu nennen. Aber schließlich können Verfassungsschützer ja »nicht ständig das Grundgesetz unter dem Arm tragen«, wie der damalige Bundesinnenminister schon 1963 wetterte, nachdem bekannt geworden war, dass der Verfassungsschutz alle möglichen Leute abgehört hatte. Trotzdem: Bei dieser Institution handelt es sich entweder um eine Fehlkonstruktion oder um eine unkorrekte Bezeichnung. Da wir an das erste einfach nicht glauben wollen – denn wer würde schon die Schützer des Rechts außerhalb desselben stellen und sie damit jeder Kontrolle entziehen? –, war es hoffentlich wohl nur eine schlampige Benennung. Gemeint war sicher Inlandsgeheimdienst. Vgl. → grundrechtsschonend .
Verhörmethoden, umstrittene
Im englischen Original enhanced interrogation techniques , »erweiterte Befragungsmethoden«. Meist im Plural verwendeter Sammelbegriff für Handlungen von Polizisten, Soldaten und Geheimdienstmitarbeitern, die gemeinhin als Folter gelten, also das Quälen von Gefangenen. Vor allem gebraucht für das water boarding genannte simulierte Ertränken, aber auch für andere Foltermethoden, die keine körperlichen Spuren hinterlassen. Die Misshandlungen wurden im Rahmen des »Kampfes gegen den Terror« der Vereinigten Staaten von 2001 bis 2007 zu Befragungs- oder Verhörmethoden umgedeutet und mit eindeutiger Billigung der Regierung eingesetzt. Medien bezeichneten diese in ihren Berichten darüber dann als umstrittene Verhörmethoden , manchmal auch als »äußerst umstrittene Verhörmethoden «. Jedoch sind die Techniken weder geeignete Verhörmethoden , noch sind sie umstritten . Sie sind vielmehr immer ein Verstoß gegen die Grundrechte und gegen internationale Verträge wie die UN-Konvention gegen Folter oder die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen. Sie sind damit in einem Rechtsstaat Unrecht. Trotzdem drücken sich viele Medien vor einer klaren Ablehnung und vermeiden bei der Beschreibung der Vorgänge das Wort Folter . Stattdessen ersetzen sie die euphemistische Bezeichnung der amerikanischen Regierung durch eine eigene Vernebelung. Was darauf hindeutet, dass es nicht wenige Menschen gibt, die Misshandlungen für gerechtfertigt halten, wenn das Opfer ihnen nur als bedrohlich genug dargestellt wird. Vgl. auch → Feindstrafrecht , → Rettungsschuss, finaler und → Tötung, gezielte .
Versachlichung
Wenn alle Argumente gegen eine politische Forderung sprechen, ist der Ruf nach Versachlichung der verzweifelte und letzte Versuch, diese offensichtlich unsinnige Forderung noch aufrecht zu halten. Die Verteidigung funktioniert dabei nach dem Prinzip der Schuldumkehr, denn der Wunsch nach Versachlichung enthält den indirekten Vorwurf, alle anderen hätten nicht etwa recht, sondern seien lediglich unsachlich. Das erinnert stark an das sogenannte Goodwinsche Gesetz zu Debatten im Internet. Das besagt, dass sich die Wahrscheinlichkeit für einen Vergleich mit Hitler oder den Nazis mit zunehmender Länge einer Online-Diskussion dem Wert eins nähert. Daher lautet die Biermann-Haase-Erweiterung von Godwins Gesetz: Je länger eine politische Diskussion dauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Versachlichung derselben fordert. Beziehungsweise: Wenn jemand die Versachlichung einer politischen Debatte verlangt, ist die Debatte beendet und der Forderer der argumentative Verlierer. Herleitung: Beim Substantiv Versachlichung handelt es sich um eine Ableitung von versachlichen , das auf das Adjektiv sachlich zurückgeht, das wiederum das Lehnwort objektiv verdeutscht. Eine versachlichte Debatte aber ist ein Widerspruch in sich, eine Contradictio in adiecto. Denn
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