Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)
Sitzungs- oder Verhandlungstages. Ordentlich aufgereiht stehen auf ihr die zu besprechenden Dinge, Punkt für Punkt kann anschließend abgearbeitet werden. Das chaotische Leben bekommt so eine Struktur, der überforderte Mensch einen Halt. Der Wunsch, von einer einmal aufgestellten Tagesordnung abzuweichen, ist daher nicht unbedingt groß, weswegen es umfangreicher Anträge bedarf, um eine Tagesordnung zu ändern. Und wenn es zu einem Thema Streit gibt und es lieber vertagt und nicht weiter verhandelt werden soll, dann geht man eben zur Tagesordnung über. Zurück also zur Liste des Geplanten. Bei akuten → Ereignissen , umgangssprachlich auch Krise oder Katastrophe genannt, sagen Politiker gern und mit betroffenem Gesichtsausdruck, dass angesichts der Folgen jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden könne. Das klingt dann so, als nähmen sie das Ganze ernst und seien bereit, ihr Handeln zu unterbrechen und ihre Pläne zu überdenken. Was ein klein wenig in die Irre führt. Da sie eigentlich eben nicht vorhaben, etwas an ihrem Kurs (die maritime Metapher der Tagesordnung , → Sparkurs ) zu ändern. Vielmehr geht es um ein mehr oder weniger langes → Innehalten . Anschließend soll es dann bitte weitergehen wie bisher. Vgl. → alternativlos .
Tötung, gezielte
Erschießen von → Aggressoren durch Soldaten, ohne dass sich das Land im Krieg befindet. Der Begriff hat eine englische Entsprechung: targeted killing , wobei nicht klar ist, von welcher Sprache in welche übersetzt wurde. Eigentlich staatlich sanktionierter Mord, daher das Umbringen eines Menschen ohne gesetzliche Rechtfertigung und insofern ein Euphemismus. Die Wortwahl zeigt, wie klar sich die Beteiligten darüber sind, dass ihr Verhalten irgendwie nicht in Ordnung ist: gezielt soll nahelegen, dass der oder die Täter a) schon den Richtigen treffen werden, und dass er oder sie b) wissen, was sie tun. Tötung dann ist der Versuch, das Ganze so sachlich wie möglich darzustellen und gleichzeitig Rechtsstaatlichkeit zu simulieren. Die gezielte Tötung ist eine Analogiebildung. Denn es gibt nur einen anderen Zusammenhang, in dem das ungewöhnliche Substantiv verwendet wird, im Strafgesetzbuch. In jedem anderen Kontext spricht man nicht von gezielten Tötungen , sondern von Töten. Eine gesetzliche Grundlage für diese Form der Gewalt aber gibt es in keinem demokratischen Land. Weswegen die Verantwortlichen versuchen, sie über den Umweg der Notwehr zu rechtfertigen. Spätestens das offenbart, wie absurd es für einen Rechtsstaat ist, Menschen zu erschießen, statt sie vor ein Gericht zu stellen. Denn Notwehr ist nur dann eine, wenn auf einen aktuellen Angriff reagiert wird und zwar adäquat – daher nur mit der Gewalt, die notwendig ist, um ihn zu stoppen. Wer härter zuschlägt, als er müsste, macht sich strafbar. Und wer zuschlägt, obwohl es gerade gar keinen Angriff gibt – egal, was in der Vergangenheit geschah oder in der Zukunft geschehen könnte –, wird selbst zum Angreifer. Daher gilt, wie der Satiriker Wiglaf Droste schrieb: »Selbst wer schlicht ist, muss erkennen / Mörder soll man Mörder nennen.« Vgl. → Rettungsschuss, finaler , → Verhörmethoden, umstrittene und → Feindstrafrecht .
Treuhand
Der Ausdruck diente viele Jahre lang als Kurzbezeichnung der »Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums«. Wer es schon vergessen hat: ihre Aufgabe war es, von der Wirtschaft der DDR zu retten, was irgend zu retten war. Zumindest glaubten das viele der in dieser Wirtschaft beschäftigten Menschen. In ihren Ohren muss Treuhand gut geklungen haben. Denn es ist ein uralter Rechtsbegriff und übersetzt das lateinische manus fidelis . Eine »treue Hand« handelt ohne eigenes Interesse – also treu für einen anderen, der ihr vertraut. Wie in der ursprünglichen Bezeichnung noch ersichtlich, war der Treugeber das Volk, in dessen Interesse zu handeln gewesen wäre. Es entsprach dann wohl nicht so ganz dem Interesse dieses Volkes, dass die meisten Betriebe geschlossen, aufgeteilt oder an Figuren mit eher zweifelhaften oder gar kriminellen Interessen verkauft wurden. Denn eine Sanierung, also eine Erhaltung und Bewahrung des zu treuen Händen übernommenen Vermögens war nicht vorgesehen. Das steht auch ganz unverblümt im namengebenden »Treuhandgesetz«: Unternehmen seien in erster Linie zu privatisieren, heißt es da, oder müssen, wenn das nicht möglich ist und sie als »nicht
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