Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)
versuchen, sie einigermaßen ernsthaft zu beantworten. Vorweg kann ich gleich beruhigen: Die Gefahr, durch den Hörgenuss der Meistersinger zum NPD-Wähler zu mutieren, besteht keineswegs. Wer – hoffentlich! – keine anderen Gründe hat, der NPD seine Stimme zu geben, wird auch durch Wagners Oper nicht dazu verführt. Sie liefert keine Grundlage dafür.
Nehmen wir das Finale der Meistersinger. Da sagt Hans Sachs Folgendes: »Zerging in Dunst das Heil’ge Röm’sche Reich, uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst.« Er spricht hier vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Mit einem Wort, Wagner lässt seinen Sachs am Ende sagen, selbst wenn Deutschland zugrunde gehe, bliebe doch die Kunst übrig. Kein allzu nationalistischer Schluss für ein nationales Weihespiel, als das die Meistersinger gesehen werden.
Hätte Shakespeare in eines seiner Königsdramen den Satz geschrieben: Möglich, dass England untergeht, aber immerhin überleben meine Werke – wer weiß, was Königin Elisabeth dann gesagt hätte. Shakespeare hat es jedenfalls nicht getan, ebenso wenig wie Kleist oder Aischylos oder andere Autoren
in ihren Stücken solche Skepsis an den Tag gelegt haben. Nein, man unterschätzt Wagner, wenn man glaubt, bei den Meistersingern handele es sich um ein blödes nationalistisches, andere Völker abwertendes Weihespiel. Im Gegenteil, es ist eines der klügsten Dramen über das Wesen der Kunst, das je geschaffen wurde. Zu denken ist nur an die Szene, in der sich der junge Ritter Walther von Stolzing mit Hans Sachs und dem inzwischen sprichwörtlich gewordenen pedantischen Stadtschreiber Sixtus Beckmesser über Walther von der Vogelweide streitet.
Mein Lehrer Adorno hatte sicher nicht unrecht, als er diese Oper als »das reichste und beziehungsvollste Werk, das je über Kunst gemacht worden ist«, bezeichnete. Und selbst Strawinsky, der Wagner eigentlich nicht ausstehen konnte, lobte, wie ernst in diesem Stück die Musik genommen wird. So viel nur zu den Texten.
Die Musik selbst, also die Komposition der Meistersinger, umfasst das musikalische Erbe vieler Hundert Jahre. Da finden sich mittelalterliche Elemente ebenso wie moderne. Wagner hat hier vieles zusammengeführt, was man schwer als bewusst nationalistisch deuten kann. Übrigens habe ich nie gefunden, dass Richard Wagner ein so »typisch deutscher Komponist« sei, wie viele Leute sagen, nur weil seine Stoffe häufig aus der deutschen Mythologie kommen. Er war ein hervorragender Orchesterkomponist, der fabelhaft zu instrumentieren verstand und der nebenbei bemerkt auch durchaus ironisch sein konnte. Das
sind Eigenschaften, die nicht als besonders »typisch deutsch« gelten.
Wenn man schon in solchen Kategorien denkt, dann müssten Komponisten wie Bach, Schumann oder Brahms in ihrer Meisterhaftigkeit viel mehr dem deutschen Künstlerideal entsprechen als ausgerechnet der exaltierte, psychologisch raffinierte Wagner. Gegen tief sitzende Vorurteile lässt sich allerdings wenig ausrichten, schon gar nicht in einer so kurzen Antwort.
Oper ohne Vorbereitung
Wie viel Vorwissen braucht man als Klassik-
liebhaber bei Opernaufführungen allgemein
und bei Wagners Ring im Besonderen?
Darf man sich ohne Vorwissen ins Opernvergnügen stürzen, oder sollte man vorab feuilletonistische Sekundärinformationen studieren, um den Kunstgenuss zu steigern? Bezogen auf den Ring des Nibelungen antworte ich mit einem entschiedenen »Weder noch!«. Für so ein kompliziertes Werk muss man sich, wenn schon, akribisch vorbereiten, am besten durch intensive Textlektüre. Andererseits hat es keinen Zweck, sich mit Sekundärliteratur vollzustopfen, bevor man das Objekt seiner Begierde selber kennengelernt hat. Abgesehen von der Ring -Trilogie und ihrem Vorspiel gibt es natürlich durchaus Opernaufführungen, denen man unvorbereitet beiwohnen kann. Die Kunst ist ja kein Schulzimmer. Bei der Aida etwa oder der Tosca muss man nicht jedes Wort und jede Bedeutung kennen, um sie zu verstehen.
1951, als ich ganz jung war, wurde ich nach Bayreuth zur Ring -Premiere eingeladen. Ich kannte die Stücke kaum und dachte: »Das wirst du schon schaffen!« Nachdem ich Rheingold gesehen hatte – nebenbei, ich fand es schrecklich langweilig –, schrieb ich eine Kritik in den Frankfurter Heften, in der ich monierte, dass die Oper sehr textlastig sei und nur wenig schöne Melodien aufweise, und dass der eigentliche
Ernst des Lebens wohl erst in der Walküre thematisiert werde.
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