Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)
Später erst habe ich begriffen, dass Wagner im Rheingold nicht nur die Bösartigkeit eines Tyrannen offenlegt. Vielmehr zeigt er uns, wie ein Herrscher sich in einen bösen Herrscher verwandelt. Wie er gedemütigt wird und beschließt, sich an der Welt zu rächen. Alberich verliebt sich in der ersten Szene in die drei entzückenden Rheintöchter. Er, der verkrüppelte, zwergenhafte Kerl. Anfangs locken sie ihn: »Du bist ja eigentlich ganz süß, komm, wir zeigen dir die wahre Liebe.« Dann aber beenden sie ihre Schmeicheleien mit einem lauten Lachen und lassen ihn beschämt und aufgewühlt zurück. Diese Niederlage macht verständlich, warum Alberich die Liebe fortan verflucht und der Macht verfällt. Ein Mechanismus, den man vielleicht auch bei einigen Diktatoren beobachten kann. Später, nachdem der Gott Wotan ihm den Ring gestohlen hat, sagt Alberich: »Wie durch Fluch auf die Liebe der Ring mir geriet, so verfluche ich den Ring.« Woraufhin Wotan naiv-ahnungslos reagiert: »Gönne ihm die geifernde Lust.«
Wenn man all diese Verwicklungen ohne jegliche Vorbereitung in der Oper hört, begreift man die Zusammenhänge nicht. Gerade bei Wagner kommt es auf die Nuancen an, zumal Text und Musik bei ihm eine dialektische Einheit bilden. Das wiederum bedeutet auch, dass Widersprüche entstehen. Wenn Wotan zum Beispiel prahlt »Jetzt bin ich Herr der Welt«, dann begleitet das Orchester dieses überhebliche Getue mit dem Götterdämmerungsmotiv. Ein feinsinniger Hinweis
für ihn – und uns Zuhörer –, dass auch Götter endlich sind.
Ohne Vorwissen begreift man auch im zweiten Akt der Walküre nicht, warum Wotan und seine Gattin einen Ehekrach austragen. Ohne Vorbereitung versteht man im Siegfried nicht, dass der junge Titelheld gegen eine Riege alter Herren ankämpft. Und und und. Wagners Ring verlangt dem Klassikliebhaber bekanntlich allerlei Sitzfleisch ab. Und die Bereitschaft zur Vertiefung. Gut so.
Jubelarien
In klassischen Konzerten applaudiert
man erst am Ende, in der Oper
hingegen während der Aufführung.
Muss das sein?
Zugegeben: Auch mich stört manchmal das Beifallsgedonner, vor allem am Ende von Stücken, wenn man es gerne noch ein bisschen nachklingen lassen möchte. Andererseits deute ich das Gerede über die angeblich so tollen Regieeinfälle, ohne das kein Pausengespräch und keine Rezension heutzutage mehr auskommt, als Zeichen einer bedauerlichen Dekadenz des Opernbetriebes. Denn dabei wird vergessen, dass bei einer Opernaufführung doch die Sänger im Mittelpunkt stehen sollten. So sieht man das übrigens auch in Neapel oder Mailand. Da dreht sich alles um die Sänger. Als man Toscanini einmal bat, er solle einen Tenor für die Inszenierung freigeben, damit dieser hinten auf der Bühne stehen könne, um dann nach vorne zu kommen, sagte er in gebrochenem Deutsch: »Nein, bei mir steht Tenor vorne, aber singt gut!«
Es sind ja leider auch viele Rezensionen falsch gewichtet. Da erklärt der Kritiker auf zweihundert Zeilen, warum der Regisseur das Stück in eine andere Zeit verlegt hat und was das Bühnenbild bedeutet – und ganz zum Schluss heißt es knapp: »Der sang leis, und der sang laut.« Diese Tendenz kann man beim Schauspieltheater ebenfalls beobachten.
Je weiter man in den Süden kommt, desto mehr feiert das Publikum die Darsteller und die Sänger. Das ist, finde ich, ein Zeichen von Gesundheit. Der deutsche Schauspiel- und Opernbetrieb neigt dazu, Inszenierungen zu intellektualisieren. Ich betrachte es deshalb mit einer gewissen Milde, wenn bei hiesigen Aufführungen die Sänger nach einer Arie bejubelt werden, auch wenn es mich vielleicht persönlich stört. Denn Beifall stellt Gemeinsamkeit her und ist ein gesellschaftliches Ritual. »Wir waren bei dieser Premiere dabei! Uns hat es gefallen!« Das kann nach einer langen Aufführung eine herrlich erlösende Antwort sein. Zum Opernbetrieb gehört eben nicht nur die höhere Kunst, sondern auch, dass Menschen zusammenkommen und Stars feiern. Sofern es diese Stars wert sind, gefeiert zu werden.
Es ist kein Zufall, dass Wagner, der diese Jubelkonventionen ablehnte, sogar den Beifall verboten hat: In Bayreuth darf nicht geklatscht werden, nicht einmal am Schluss. Mittlerweile geschieht es doch; und wie Sänger so sind, messen sie mit einer Stoppuhr nach, wie lange der Beifall dauert, und sind dann bescheiden genug, ihn auf sich zu beziehen.
Jenseits der Stille
Darf man nach einer Opernaufführung
einen Sänger
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