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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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ließen sich davon aber nicht abschrecken: Sie verehrten seinen opulenten, direkten Klang. Wie ich auch. Nicht nur wegen seiner Musikkunst, sondern auch wegen seiner direkten und offenen Art. Öfter sagte er zu mir: »Herr Kaiser, wenn Sie in der Kritik danebenhauen, dann aber gleich mächtig.«

KAPITEL V
Hochverehrtes Publikum
    Wie man sich in der Oper benimmt,
warum es eigentlich keine Klassikbanausen
gibt und welches Vorwissen der Musik-
liebhaber braucht

Kunstbarbar
    Darf man das: bekannte Stücke wie das
Air von Bach oder die Kleine Nachtmusik
von Mozart lieben? Oder ist man dann
ein Banause?
     
    Diese Frage traut sich kaum jemand zu stellen, und doch dürfte sie viele beschäftigen; übrigens zeugt sie ebenso von Nachdenklichkeit wie von nicht allzu großem Selbstbewusstsein. Gleich vorneweg sei daher gesagt: Solche sehr bekannten und beliebten Stücke zu lieben bedeutet nicht, dass man ein Kunstbarbar sein müsste. Bachs Air aus der dritten Orchestersuite etwa ist höchst differenziert komponiert, die Kleine Nachtmusik demonstriert eine Leichtigkeit und Eleganz der Themen, eine Anmut, die ihresgleichen sucht. In ihrem langsamen Satz imponiert eine ziemlich finstere und gar nicht so leichte c-Moll-Stelle. Schön heißt nicht unbedingt leicht oder gar banal.
    Wie steht es nun mit dem, der sich damit bescheidet und sagt: Eigentlich brauche ich nichts anderes anzuhören als diese beiden Werke, denn sie gefallen mir ja. In uns allen, auch in mir, steckt eine gewisse Freude an der Wiederholung. Das ist ganz normal und gar nicht banausenhaft, auch wenn das Klassikpublikum häufig dafür getadelt wird, weil es immer wieder
dieselben Stücke hören möchte. »Typisch Abonnementpublikum«, heißt es dann oft herablassend. Ich dagegen meine, diese Werke sind nicht von ungefähr so beliebt, sondern weil sie wirklich etwas Besonderes darstellen. Wer die Mondscheinsonate oder das fünfte Klavierkonzert von Beethoven schön findet oder Richard Wagners Tristan und Isolde immer wieder hört, der hat begriffen, dass es hier um große Musik geht.
    Allerdings, wenn einen solche Werke nicht auch neugierig machen auf mehr, wenn sie nicht ein Entdecken-Wollen auslösen à la: »Wenn Mozart in beschwerten Zeiten die Kleine Nachtmusik geschrieben hat, was hat dieser Komponist denn im Umkreis dieses Werks noch hervorgebracht? Und derjenige, der ein so schönes Air erschaffen konnte, wie schreibt der für die Sopranstimme, wenn es um eine Matthäus-passion geht? Wie findet ein solcher Künstler seine Melodien, wenn er ein Liebeslied schreibt?« Wer solchen Fragen nicht nachgeht oder sie womöglich gar nicht stellt, sondern nur selbstzufrieden und wiederholungssüchtig immer das Gleiche hört, der ist freilich auf dem besten Wege, ein Banause zu werden.
    Es kommt noch etwas hinzu, das gerade die besonders populären Stücke betrifft: die Gefahr des Überdrusses. Wie oft habe ich zum Beispiel die Fünfte Symphonie von Beethoven gehört, mal gut, mal sehr gut, gelegentlich weniger gut; wie oft habe ich über sie nachgedacht, geschrieben, Vorlesungen gehalten. Da kann man einer Sache schon auch einmal überdrüssig werden. Tatsächlich ist von ernsthaften
Musikologen der Vorschlag gemacht worden, man sollte über Beethovens Fünfte oder auch die Kleine Nachtmusik ein Aufführungsverbot verhängen und sie ein paar Jahre lang überhaupt nicht mehr spielen. Dann würden die Leute wieder begreifen, wie gut diese Stücke eigentlich sind.
    Richtig ernst nehmen kann man so einen Vorschlag natürlich nicht. Erstens wäre ein derartiges Verbot gar nicht durchzusetzen – von welcher Instanz denn? Und müsste dann nicht auch der Verkauf von Tonträgern eingestellt werden? Absurd. Einmal abgesehen davon, dass es eine echte Gemeinheit wäre, den jungen Leuten diese wundervolle Musik vorzuenthalten, nur weil ein paar älteren Herrschaften die Idee eines zeitweiligen Verzichtes gefällt. Der wahre Kern daran allerdings ist, dass jeder für sich versuchen sollte, ein Gleichgewicht, eine Harmonie zu finden, einerseits die Lieblingsstücke wieder und wieder zu hören, andererseits zu erkunden, was es sonst noch an schöner und interessanter Musik gibt. Dann sind das Air und die Kleine Nachtmusik das Beste, was einem passieren kann.

Die Nazi-Singer
    Läuft man Gefahr, nach wiederholtem
Hören von Wagners Meistersingern die NPD
zu wählen?
     
    Auch wenn diese Frage durchaus zugespitzt formuliert und etwas spaßig gemeint ist, will ich doch

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