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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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missbraucht das Stück oder den Namen des Komponisten, um sich selber interessant zu machen. Das Leben ist zu kurz für langweilige Eintagsfliegen.

Schön und gut
    Anna Netrebko hält sich seit Jahren
in den Klassik-Charts. Singt sie wirklich so
hervorragend, oder sieht sie nur gut aus?
     
    Eine nicht ganz unverfängliche Frage. Ich möchte folgendermaßen beginnen: Meine Erfahrungen mit Anna Netrebko sind gottlob nicht eindeutig. Vor knapp einem Jahrzehnt erlebte ich sie in München als La Traviata, hatte Enormes erwartet nach all den öffentlichen (Vorschuss-)Lorbeeren – und war dann ziemlich enttäuscht. Den etwas verruchten Ruf einer Halbweltdame, die ein wenig forcieren muss, die sich dann plötzlich verliebt und sogar opfert – das alles war die Netrebko eigentlich gar nicht. Sie sah hübsch aus, aber große schauspielerische Überzeugungskraft ging nicht von ihr aus. Stimmlich war sie in Ordnung. Gut, aber keineswegs außergewöhnlich, nicht zu vergleichen etwa mit der Stimmgewalt einer Maria Callas oder der Sangeskraft einer Christa Ludwig.
     
    Später hörte ich sie dann in Salzburg als Donna Anna in Mozarts Oper Don Giovanni. Mit dieser Rolle feierte sie große Erfolge und ihren internationalen Durchbruch. Dabei war das keine besonders herausragende Mozart-Interpretation, wie man auch heute noch auf CDs nachhören kann. Ich erinnere mich auch noch daran, wie sie im Jahr 2006 in Salzburg die Susanna in Figaros Hochzeit sang und von Christine Schäfer
als Cherubino buchstäblich an die Wand gesungen und gespielt wurde. Auch das Publikum spürte das.
    So viel zu meinen negativen Erfahrungen mit der Sängerin Netrebko. Doch es gibt auch andere, die an dieser Stelle nicht verschwiegen werden sollen. Denn schon wenige Jahre nach diesen eher mittelmäßigen Mozart-Auftritten hatte Frau Netrebko – ebenfalls in Salzburg, diesmal zusammen mit Rolando Villazón – einen sehr viel aufregenderen La Traviata -Auftritt. Seitdem hat sie sich auf allen Bühnen der Welt, in Österreich und Deutschland ebenso wie in Amerika, durchzusetzen gewusst. Besonders in Übersee ist sie sehr populär. Es ist schon so: Wenn jemand nur zufällig, aufgrund seines Äußeren zum Star gemacht wird, dann hält das nur für den Moment und nie lange an. Denn man gerät relativ schnell ins Rampenlicht, aber man ist auch rasch wieder weg vom Fenster, wenn ich das so salopp formulieren darf. In der Kunst zählt aber nicht nur der augenblickliche Ruhm, sondern vor allem der dauerhafte. Jemand, der sich wie Anna Netrebko über eine lange Zeit Aufmerksamkeit und Wertschätzung erhalten kann, an dem muss etwas dran sein.
    Für ein abschließendes Urteil über die Künstlerin Netrebko ist es sicherlich noch zu früh. Sie singt gut, und sie sieht gut aus, so viel ist gewiss. Ob sie einmal als Interpretin ins Pantheon der größten Sängerinnen eingehen wird, das kann noch kein Mensch sagen, denn: Alles Misslingen hat seine Gründe, aber alles Gelingen sein Geheimnis.

Kunst kommt von Können
    Wem verdanken berühmte Künstler
ihren Erfolg?
     
    Wer sich als Künstler über Jahre hinweg an der Spitze behaupten kann, der verfügt fast immer auch über eine große Meisterschaft. Künstlerische Qualität, davon bin ich überzeugt, lässt sich nicht von außen erzeugen, auch nicht durch ein noch so raffiniertes Marketing. Als der junge Van Cliburn Ende der fünfziger Jahre den erstmals ausgetragenen Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewann, avancierte er über Nacht zum weltberühmten Pianisten. Das lag auch an einem öffentlichkeitswirksamen Dankeskuss von Nikita Chruschtschow: Ein Kuss des sowjetischen Präsidenten an einen amerikanischen Künstler – das war im Zeitalter des Kalten Krieges natürlich eine Sensation. Es verwundert also nicht, dass Van Cliburn anschließend auf der ganzen Welt zu umjubelten Konzerten eingeladen wurde.
    Aber er war ein bisschen oberflächlich, und sein Erfolg machte ihn auch etwas leichtfertig. Als er einmal in München einen Beethoven-Abend geben sollte, saß er unmittelbar vor Konzertbeginn in der Suite seines Hotels. Er hatte die Aufführung schlicht vergessen. Nachdem seine Mitarbeiter ihn aufgestöbert hatten, zog er sich rasch um und spielte dann ein bisschen geistesabwesend die Appassionata. Später wollte ihn niemand mehr sehen. Enttäuscht zog sich Van
Cliburn, die Eintagsfliege, aus dem Konzertbetrieb zurück.
     
    Dass man Qualität auf Dauer nicht ermogeln kann, wurde mir auch bei einer

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