Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)
repräsentieren, möchte ich allerdings bezweifeln.
Den eindrucksvollsten Satz zur Pausenthematik formulierte Beethoven: »Der Tod könnte dargestellt werden durch eine Pause.« Ein Gedanke, bei dem man erst ganz allmählich merkt, wie wunderbar er ist. Und wenn in Wagners Oper Tristan und Isolde der Held im dritten Akt krank vor Verzweiflung auf Isolde wartet, sie nach vielen Umständen auftaucht und sie beide sich endlich selig umarmen und Tristan sein wunderschönes Motiv singt, dann hört plötzlich das Motiv auf – eine Pause. Tristan stirbt. Ein großer Moment. So etwas kann nur eine Pause.
Menuett mit Zipfelmütze
Das so genannte Jeunehomme-Klavierkonzert
in Es-Dur gilt als eine von Mozarts
herausragenden Arbeiten.
Was ist das Hervorragende, Bahnbrechende
an diesem Werk?
Ich möchte mit einer kleinen Geschichte beginnen: Im Winter des Jahres 1776/77 kam eine französische Pianistin nach Salzburg. Wolfgang Amadeus Mozart war damals zwanzig Jahre alt, und man kann aus einer biografischen Erzählung erschließen, dass er für diese hochbegabte junge Dame, die offenbar den Namen Jeunehomme trug, sein berühmtes Konzert schrieb.
Das Besondere an diesem genialen, jugendlichfrisch komponierten Meisterwerk ist der riesige seelische Ambitus zwischen entfesseltem, spirituellem Schwung und tief-schmerzlicher Dramatik. Mozart hat mit diesem frühen Werk das Soloklavier zum aktiven Partner und zugleich zum Gegenspieler des Orchesters erhoben.
An manchen Stellen, etwa in der Reprise des ersten Satzes, tauschen Solist und Orchester plötzlich ihre Funktion und ihre Themen. Es wirkt sehr komisch, wenn das Klavier mit einem Mal das spielt, was vorher das Orchester vortrug; und umgekehrt. Während das eigentliche Orchestervorspiel im Klavierkonzert üblicherweise etwas sozusagen Extraterritoriales darstellt – ein langes Vorspiel, auf das dann das
eigentliche Konzert erst folgt –, lässt Mozart hier bereits im zweiten Takt ganz überraschend das Soloklavier auftreten. Das hat er später nie wieder so gemacht. Wie überhaupt seine frühen Kompositionen kühner sind und – wenn man so will – mutwilliger als manche seiner späteren Werke.
Dieses Klavierkonzert (KV 271), zumal sein erster Satz, ist in der Durchführung voller chromatischer und modulatorischer Überraschungen. Noch bedeutsamer ist der zweite, langsame Satz, ein c-Moll-Andantino. Dabei handelt es sich wirklich um ein einziges melancholisches Wunder. Das ist reine Bekenntnismusik des jungen Mozart. Aber was mag aus solchen Tönen sprechen? Ein tief bewegter Mensch? Oder erklingt da die Gestimmtheit eines Weltschmerzes, der alles Menschliche und alles Irdische gleichsam hinter sich lässt? Schon im Vorspiel dieses Andantino, das die Streicher übrigens mit Dämpfern vortragen müssen, macht sich ein Doppelschlag (das ist die Umkreisung einer einzigen Note von unten und oben) bemerkbar. Dieser Doppelschlag, den Mozart ungeheuerlich durchgehalten, besser gesagt durchkomponiert hat, dieser Doppelschlag wird während des ganzen, riesenlangen Satzes immer heftiger und dramatischer. Fabelhaft temperamentvoll, virtuos und spritzig imponiert danach das Finale: ein Rondo, und zwar eines im Presto alla breve.
Das gehört sicher zu den schwierigsten Stücken, die Mozart als Konzertfinale geschrieben hat. Vielleicht ist es sogar sein schwerstes Klavierkonzert überhaupt. In der Mitte dieses Finales disponiert der junge Mozart
ein zipfelmütziges Menuett. Es wirkt geradezu bequem, wird ein bisschen variiert, um schließlich der funkelnden Virtuosität des Presto zu weichen. In seinem späteren Es-Dur-Klavierkonzert (KV 482) hat er das noch einmal wiederholt, aber nicht ganz so mutwillig, nicht ganz so keck und brillant wie in seinem Jugendwerk.
Der Mozartforscher Alfred Einstein nannte dieses Konzert bewundernd »die Eroica Mozarts«, in Anlehnung an Beethovens Meisterwerk Eroica, das einen fundamentalen Entwicklungsschritt im Leben des Komponisten bedeutete. Das Es-Dur-Klavierkonzert, Köchelverzeichnis Nummer 271, ist also Mozarts »Eroica«. Und ich liebe es über die Maßen.
Beethovens Boogie-Woogie
Wie viel Weltentrücktheit steckt in seiner
letzten Klaviersonate?
Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts haben viele Gelehrte Beethovens letzte Klaviersonate (op. 111) bewundert und als visionäres Meisterwerk beschrieben. Und ja: Der kranke, taube, alte Komponist zieht hier alle Register. Vom Klassischen ausgehend, erschließt er das Gebiet
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