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Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition)

Titel: Sprechen wir über Musik: Eine kleine Klassik-Kunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Kaiser
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der Romantik und stößt das Tor weit ins 20. Jahrhundert auf.
    Beethoven entrückt die Sonatenform in eine Sphäre der Vergeistigung. Andererseits muss man, wenn die Arietta-Variationen beispielsweise vom entfesselten Friedrich Gulda vorgetragen werden, sofort Strawinsky beipflichten, der die Meinung vertritt, dass Beethoven hier einen Boogie-Woogie komponiert habe.
    Thomas Mann lässt in seinem Doktor Faustus einen stotternden Organisten namens Wendell Kretzschmar über diese Sonate räsonieren. Der Schriftsteller bezieht sich dabei auf den Philosophen Theodor W. Adorno, der sich in einem 1937 verfassten Aufsatz mit Beethovens Spätstil beschäftigt hatte. Adorno hieß mit Vatersnamen Wiesengrund – ein Wort, das in Thomas Manns Ausführungen über den zweiten Satz wiederholt vorkommt.
    Sitze ich heute im Konzert und höre die Sonate, dann spüre ich förmlich, wie das gebildete Publikum denkt: »Aha, jetzt kommt die Passage, über die Thomas
Mann so intelligent geschrieben hat.« Aber sind diese Ausführungen überhaupt richtig? Thomas Mann sagt, der späte Beethoven benutze die Konvention jenseits des Subjektiven, er lasse sie kahl hervortreten, ausgeblasen, ich-verlassen. Das stimmt. Es trifft aber genauso für Beethovens mittlere Zeit zu. Die Themen der Appassionata sind nicht weniger kahl als die Variationen in opus 111.
     
    Viele Konzertgänger interessieren sich vor allem für den zweiten, langsamen Satz, das Adagio molto, semplice e cantabile. Der erste Satz ist aber gleichermaßen wichtig. Er fängt mit einer geradezu mystischen Maestoso-Einleitung an und geht dann in ein wildes Allegro voller Kraft und spät-Beethoven’scher Dynamik über. Übersehen wird auch häufig, dass sich hinter dieser offenkundig zweiteiligen Sonate eine subtile Dreiteiligkeit verbirgt. Schon die Maestoso-Einleitung besteht aus drei verschiedenen Charakteren, der erste Satz und die Variationen des zweiten Satzes gliedern sich in drei Teile. Es folgt die große vierte Variation und dann die Schlussvariation, die alles zusammenfasst. So geheimnisvoll ist der späte Beethoven.
    Seine Klaviersonate, keine Frage, kommt am Schluss still und weltentrückt daher. Aber Beethoven hat danach noch ein weiteres Meisterwerk geschrieben, die Diabelli-Variationen. In diesem Werk steckt noch viel mehr Zukunft, Wildheit und Getümmel als in der großartigen 111.

Wiener Subkultur
    Warum gibt es von Franz Schubert keine
Klavierkonzerte?
     
    Franz Schubert wird gern als verkanntes Genie dargestellt, als ein schüchterner Liebhaber. Aber das stimmt nicht und wird ihm auch nicht gerecht. Der Wiener Komponist stand schon als 17-Jähriger im Mittelpunkt eines Kreises, der ihm sogar Gedichte widmete. Allerdings gehörte dieser Kreis nicht zur offiziellen Wiener Hochkultur.
    Beethoven dagegen zählte um 1800 zur Hochkultur. Seine Werke wurden zur Erbauung der Aristokraten in den prächtigen Palästen von Lobkowitz oder Kinsky aufgeführt. Das Klavierkonzert repräsentierte die Hochkultur par excellence: Vorne stellte sich jemand aus, begleitet von einem Orchester, und zeigte, wie virtuos er spielen kann. Mozart, Chopin und Brahms haben ebenfalls Klavierkonzerte komponiert und führten sie auch alle auf. Schubert hingegen gehörte zur Wiener Subkultur. Weder glaubte er daran, ein Orchester zu finden, das ihn begleiten würde, noch suchte er die Öffentlichkeit. Außerdem hatte er keinen Zugang zum Wesen des Konzerts. Er kam gar nicht auf die Idee, für sich selbst ein Klavierkonzert zu schreiben. Er ging mit seinen Leuten lieber in ein Wirtshaus oder nach Hause, wo man dann seine Lieder sang. Es waren vermutlich immer lange Abende – er hat schließlich 600 Lieder komponiert.
    Schubert gab überhaupt nur ein einziges Konzert mit eigenen Werken, und zwar in seinem letzten Lebensjahr. Das Konzert war sehr gut besucht und brachte ihm viel Geld ein, leider jedoch keinen Ruhm bei seinen Zeitgenossen, denn damals herrschte gerade der Paganini-Rummel in Wien. Schuberts Konzert, das für ihn so wichtig war, ging völlig unter. Kaum eine vernünftige Kritik erschien, die Zeitungen berichteten nur über Paganini.
     
    Schuberts Große C-Dur-Symphonie halte ich für die vielleicht ergreifendste und schönste Symphonie, die ich kenne. Ansonsten liegt seine Stärke in den kleinen lyrischen Formen. Wobei seine kammermusikalischen Kompositionen nicht nur einen romantischen Gestus aufweisen, sondern bisweilen auch virtuos daherkommen  – wie etwa die

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